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Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Janson
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können. Vertrauen Sie auf die Zeit.«
    Aber die Zeit hilft uns auch nicht, dachte Siggo jetzt. Es sind inzwischen fast fünf Jahre vergangen, und Vater nimmt immer noch keinen Anteil an unserem Leben. Er schläft und ist wach, er isst und er trinkt. Aber er lebt nicht, er ist nicht bei uns.
    Mit einem Seufzer wandte er sich vom Vater ab und widmete sich wieder seinem Essen. Er dachte an die einzige Fuhre, die er an diesem Vormittag erledigt hatte, und ihm war bewusst, dass die Tageseinnahmen wieder einmal nicht ausreichen würden, um wenigstens die Futterkosten zu decken. Außerdem musste er mit der Kutsche zum Stellmacher. Einige Speichen der großen Holzräder wiesen feine Risse auf. Aber wovon sollte er die Reparatur bezahlen?
    Siggo legte Messer und Gabel beiseite, der Appetit war ihm vergangen. Dann kam ihm jedoch eine Idee. Vielleicht konnte er später zum Weinhändler Eberle fahren. Eine Tour mit Weinfässern zu den Wirtshäusern in Altona war immer ein lukratives Geschäft. Früher war Eberle fester Kunde bei Erik Freesen gewesen, neuerdings beauftragte er immer öfter Oswald Lohmann mit der Auslieferung. »Ich muss scharf kalkulieren, mien Jung«, sagte er dann zu Siggo. »Die Wirtschaftskrise hat uns alle im Griff. Und Lohmann ist billiger.«
    Nun, heute würde er den verhassten Konkurrenten unterbieten, selbst wenn für ihn selbst am Ende nicht mehr viel dabei heraussprang. Und zwischendurch musste er die Zeit finden, Wilhelm Podolski seine Aushilfsköchin zu bringen. Siggos Stimmung hob sich, als er an Greta dachte, und er beeilte sich, die letzten Kartoffelpuffer zu verputzen.

6
    D er gusseiserne Kohleherd stellte die letzte Erinnerung an bessere Zeiten dar. Alles, was irgendwie von Wert war, hatten Viola und Greta Voss im Laufe der letzten Jahre verkaufen müssen. Nur den Herd behielten sie, denn ohne ihn, das wussten sie, würden sie endgültig ins Elend abrutschen. Es war nur ein einfacher, schwarzer kleiner Herd mit einer Kochstelle und einem runden Bauch, in den die Eierbriketts aus Steinkohlestaub gelegt wurden. Aber er war die einzige Heizquelle in der Wohnung, und Greta konnte auf ihm einfache Mahlzeiten zubereiten. Eintöpfe oder Würste mit Bratkartoffeln. Manchmal auch eine Eierspeise. Für ihre Experimente, die sie so gern mit alten Rezepten und neuen Zutaten anstellte, war er allerdings nicht geeignet. Er stand in der winzigen Stube, und seine Wärme reichte bis in die abgeteilte Schlafkammer der Mutter. Für sich selbst wärmte Greta an besonders kalten Abenden einen Ziegelstein auf dem Herdring und legte ihn dann in ihr Bett.
    Jetzt ging es auf Mittag zu, und Greta schürte noch einmal das Feuer im Herd.
    Früh an diesem Morgen war sie lange über den Markt gelaufen, auf der Suche nach günstigen Zutaten für eine nahrhafte Suppe. Ihre Mutter hatte schon seit Wochen keinen rechten Appetit mehr, aber Greta vertraute fest aufihre Kochkünste. Ein paar Löffel gute Bouillon würde Viola schon schlucken.
    Wenn sie nur bald wieder gesund wurde!
    Wenn nur dieser schreckliche Husten verschwand!
    Fest entschlossen, ihrer Mutter etwas Gutes zu tun, lief Greta an den Ständen der Fleisch- und Gemüsehändler vorbei. Erschrocken über den hohen Preis, verzichtete sie auf ein Huhn, auch ein gutes Stück Suppenfleisch vom Rind kam nicht in Frage. In Gretas Geldbörse klimperten nur wenige Münzen. Heute Vormittag sollte schließlich auch der Arzt nach Viola Voss schauen, und Greta war entschlossen, ihm sein Honorar sofort zu zahlen. Die meisten ihrer Nachbarn schuldeten dem Doktor Geld und würden es ihm vermutlich nie geben können. Aber Greta wollte keine Almosen, so tief war sie noch nicht gesunken.
    Eine Frau bot Fische an, die sie in eigens dazu geflochtenen Körben trug, frisch aus der Elbe, wie sie beteuerte. Ein kleines Mädchen rief ihre Ware aus: »Junge Rettig, Radies!«, und Bauern aus den Vierlanden hatten späte Äpfel zu hohen Pyramiden aufgestapelt. Für Greta war das alles unbezahlbar.
    Am Ende entschied sie sich für ein halbes Pfund durchwachsenen Speck und kaufte dazu zwei Pfund Kartoffeln und drei Zwiebeln. Kurz verweilte sie noch an einem Stand, an dem eine alte Bäuerin frische Waldpilze anbot. Der Duft von Champignons, Pfifferlingen und Steinpilzen stieg Greta in die Nase. Sie musste an gestern denken, an ihre Träume von einem Waldspaziergang mit Leni. Das

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