Die Tortenbäckerin
Greta.
»Wie gesagt. Es ist nur vorübergehend. Sobald seine Köchin Anna ganz gesund ist, wird sie wieder für ihn sorgen.«
»Mir soll es recht sein.« Alles war besser als die eintönige Schufterei in einer Gaststätte.
Eine halbe Stunde später erreichten sie Wilhelms Haus, und als der alte Leutnant herauskam, freute er sich aufrichtig.
»Sie sind also die junge Dame, die mich retten wird.«
»Ich willâs versuchen«, erwiderte Greta und dachte bei sich, dass sie noch nie einem Menschen begegnet war, der so viel Einsamkeit ausstrahlte.
8
S pazieren gehen, ich? Was für ein ausgefallener Gedanke, mien Deern. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht spazieren gegangen.«
Greta hielt Wilhelm Stock und Hut hin. »Dann ist es höchste Zeit, damit anzufangen. Ich arbeite jetzt seit zwei Wochen bei Ihnen, und Sie haben nicht ein einziges Mal das Haus verlassen.«
»Warum sollte ich?«, erwiderte er, setzte sich unwillig den Zylinder auf den Kopf und schlug mit dem Stock aus hartem Rosenholz fest auf den Boden.
Greta stemmte die Fäuste in die Hüften und streckte sich zur vollen GröÃe, was ihren Dienstherrn nicht sonderlich beeindruckte. Aber sie selbst spürte, dass sie im Umgang mit diesem freundlichen Mann an Sicherheit gewonnen hatte. Wenn sie bei ihm zu Hause war, schien sich ihre Schüchternheit wie von selbst zu verflüchtigen.
»Um gesund zu bleiben, bedarf es nicht nur guter Nahrung, sondern auch frischer Luft. AuÃerdem lassen Sie mich nicht in Ruhe kochen, wenn Sie alle naselang in der Küche auftauchen.«
»Sapperlot! Anna hat mir nie gesagt, dass ich sie störe.«
»Anna ist Anna, und ich bin ich.«
»Mein liebes junges Fräulein. Wenn Sie nicht so gut kochen könnten, würde ich Sie wegen Ihrer Frechheitumgehend hinauswerfen. Was gibt es heute Abend zu essen?«
»Bohnen, Birnen und Speck«, erwiderte Greta. »Und danach meinen ersten selbstgebackenen Butterkuchen mit Mandeln.« Voller Dankbarkeit dachte sie an Gerlinde Freesen, die ihre Aufgabe sehr ernst nahm, Greta die Kunst des Conditorenhandwerks beizubringen. »Aber nur unter der Bedingung, dass Sie mindestens eine Stunde lang durch den Park spazieren.«
»Sie wollen einen alten Offizier erpressen? Sie setzen mir die Pistole auf die Brust?«
»Aber nein, Herr Leutnant. Ich wünsche mir nur, dass Sie mal hinauskommen.« Und auch einmal andere Menschen sehen, fügte sie in Gedanken hinzu.
Umständlich lieà sich Wilhelm Podolski von ihr in seinen pelzgefütterten Wintermantel helfen und verlieà schlieÃlich mit grimmigem Blick das Haus.
»Wenn ich mir eine Lungenentzündung hole, werden Sie das verantworten müssen.«
Greta schwieg und sah ihm nach. Der Dezember hatte in diesem Jahr mit ungewöhnlich milden Tagen begonnen, so als wollte der Herbst sich noch einmal von seiner schönsten Seite zeigen, bevor er dem Winter endgültig Platz machte. Da bekam ein alter Recke wie Wilhelm nicht einmal einen Schnupfen.
Greta musste an ihre Mutter denken. Auch am anderen Ende des Reiches, in den bayerischen Alpen, herrschten ungewohnt milde Temperaturen. Seit zwei Wochen befand sich Viola Voss im Sanatorium, und gestern hatte Greta eine erste Nachricht bekommen. Es war eine handkolorierte Ansichtskarte mit giftgrünen Bergen, schneeweiÃenGipfeln und tiefblauem Himmel. Sie sitze jeden Mittag auf der Terrasse, hatte Viola auf die Rückseite geschrieben, und es ginge ihr schon viel besser. Greta wusste, dass sie sich keine falschen Hoffnungen machen durfte. Dr. Hausmann hatte sie gewarnt. Manchmal könne eine plötzliche Besserung auftreten, aber die sei meistens nur von kurzer Dauer. Trotzdem freute sich Greta über die gute Nachricht. Ihr groÃzügiges Gehalt reichte im Moment auch für den Anteil an den Kosten für Violas Kur.
Am meisten freute sich Greta jedoch über jeden Tag, der verging. Nur noch etwas mehr als zwei Wochen musste sie warten, bis sie sicher sein konnte, dass sie wirklich ganz gesund war. Dann konnte sie endlich Leni wiedersehen â noch vor Weihnachten! Der Besuch war auch aus einem anderen Grund wichtig. Seit Christoph fort war, musste Greta allein dafür sorgen, dass Lotte und Hans Kröger in Barmbeck ihr Geld erhielten. SchlieÃlich, so hatte Greta oft genug zu hören bekommen, fraà ihnen dieses Kind ja die Haare vom Kopf. Die letzte Zahlung
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