Die Tortenbäckerin
dem Schiff, das ihn nach Afrika bringen würde. Aber Gerlinde Freesen schien keinerlei Verdacht zu hegen.
»Eine Köchin also. Können Sie auch backen?«
Ãberrascht von der Frage erwiderte Greta: »Nun, meine Brote sind bisher immer gut gelungen.«
Gerlinde schüttelte unwillig den Kopf. »Ich meine doch kein Brot, Deern. Ich rede von Butterkuchen mit Mandeln, von Kirschtorten, von Schokoladenplätzchen und Makronen.«
Greta schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich leider nicht. Plätzchen kann ich backen, das ist alles. Meine Tante sagte, eine Köchin solle wie der Schuster bei ihren Leisten bleiben. Aber ich würde gern noch viel mehr lernen.« Sie rechnete sich im Nu aus, dass sie künftig vielmehr verdienen konnte, wenn sie ihrer Herrschaft nicht nur Vorspeisen und Hauptgericht, sondern auch duftendes Gebäck zubereiten konnte.
»Soso«, meinte Gerlinde Freesen. »Nun, da lieÃe sich vielleicht etwas machen. Ich bin ausgebildete Conditorin, und wenn Sie möchten, können Sie bei mir alles erlernen, was nötig ist.«
»Das ⦠wäre ganz wunderbar. Aber ich kann nicht viel zahlen.«
»Unsinn. Mir würde es Spaà machen, mein Wissen weiterzugeben. Ãber Geld machen Sie sich mal keine Sorgen.«
Greta murmelte einen Dank, ganz erschlagen von so viel Freundlichkeit.
Gerlinde Freesen schien von ihrem Angebot selbst überrascht zu sein, denn nun sagte sie schnell: »Siegmar ist nicht sehr lange fort. Vielleicht treffen sie ihn bei Eberle noch an. Wenn Sie vorn an der Norderreihe links herum gehen, kommen Sie geradewegs auf die Weinhandlung zu.«
»Ich kenne den Weg. Einen schönen Tag, Frau Freesen.«
»Ihnen auch, meine Liebe. Und über den Unterricht reden wir bald.«
Greta wandte sich um und ging entschlossenen Schrittes fort. Dabei spürte sie sehr deutlich, wie zwei Augenpaare ihr folgten. Ein klares, fragendes von der Haustür her und ein ängstliches aus dem Halbschatten einer Toreinfahrt. Ihre Gedanken verweilten bei Oliver, während sie sich an Hausfrauen vorbeischlängelte, die mit prall gefüllten Körben vom Wochenmarkt heimkehrten. Was hatte der Junge mit der Polizei zu schaffen? Und warum erschien er ihr jedes Mal, wenn sie ihn sah, ein wenig verwahrloster, ein wenig schmaler im Gesicht?
Greta nahm sich vor, mit ihrer Tante Mathilde über Oliver zu reden. SchlieÃlich wohnten sie alle im selben Mietshaus, und vielleicht wusste Mathilde besser über diese rätselhafte Familie Bescheid. Eines war sicher: Jemand musste sich um dieses Kind kümmern, und zwar so bald wie möglich.
Ihre Gedanken wanderten zu Leni, und der altbekannte Schmerz lieà ihre Brust eng werden. Ãber einen Monat würde sie warten müssen, bis sie wieder nach Barmbeck fahren durfte. In eine Gegend, nicht viel besser als diese, zu Menschen, mit denen sie nichts gemeinsam hatte. Das Kind war das einzige Verbindungsglied. Wenigstens hat Leni eine Familie, die sich um sie kümmert, sagte sich Greta im Stillen. Aber ihr Herz wollte sich nicht trösten lassen.
Greta schritt schneller aus, als könne sie vor dem Kummer davonlaufen.
Schon von weitem sah sie Frederik Eberle vor seiner Weinhandlung stehen. Er war klein, rothaarig und besaà einen kugelrunden Bauch. Vor vielen Jahren war er aus dem Rheinland in den Norden gezogen und versorgte inzwischen nicht nur Altona, sondern auch einige Bezirke im nahen Hamburg mit gutem Wein.
Er stand neben Siggo, wirkte dabei noch kleiner als sonst und redete schnell auf ihn ein. Siggo hielt mit der einen Hand seine Pferde fest â dieselben, wie Greta schien, die gestern Abend beinahe auf sie getreten wären, als sie gestolpert und direkt vor das Fuhrwerk gefallen war. Die andere Hand hatte er zu einer Faust geballt, und sie konnte seine Wut spüren, obwohl sie noch gut fünfzig Meter entfernt war.
Greta beschleunigte ihren Schritt, rannte fast, überquerte die StraÃe, ohne nach links oder rechts zu schauen â¦
»Dumme Göre, pass doch auf!«
Eine Wagenbremse quietschte, eisenbeschlagene Hufe hämmerten auf das Kopfsteinpflaster. In derselben Sekunde wurde sie am Arm gepackt und in Sicherheit gezogen. Sie prallte unsanft gegen Siggos breite Brust und vergaà kurz zu atmen. Dann machte sie sich frei und zupfte an ihrem Kleid herum.
»Ich glaube, Sie brauchen einen Schutzengel«, sagte Siggo weich. »Sonst
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