Die Tortenbäckerin
morgen finde ich den Weg allein. Bis Dammtor fahre ich mit der Bahn, von dort aus kann ich laufen.«
Sie hatte nicht vor, von Siggo mehr Gefallen anzunehmen als unbedingt nötig. Es genügte schon, dass er ihr zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit eine Aushilfsstelle besorgt hatte. Greta fand es schwierig, mit ihm auszukommen. Manchmal grenzte seine Zurückhaltung an Unhöflichkeit, bei anderer Gelegenheit schien er ihr so nah zu sein wie kein Mensch je zuvor.
Jetzt tippte er sich nur mit zwei Fingern an die Mütze und schnalzte mit der Zunge. Der Wallach vor dem Einspänner setzte sich in Bewegung.
»Hü, Moritz!«, rief Siggo noch, aber für Greta hatte er kein GruÃwort mehr übrig.
Zornig sah sie ihm nach. Sturer Fischkopp!, dachte sie nicht zum ersten Mal. Dann lief sie um die Villa herum, fand den Dienstboteneingang und klopfte, während ihr Herz schnell und angstvoll schlug. Für drei Tage nur würde sie hier arbeiten und helfen, die Geburtstagsfeier der Baronesse vorzubereiten. Aber Baronin Martha von Spiegel war bereit, Greta neun Reichsmark zu zahlen â so viel, wiesie früher in knapp zwei Wochen verdient hatte. Da lohnte es sich, die eigene Schüchternheit zu überwinden und einem Siegmar Freesen seine Launen nachzusehen.
Siggo lenkte Moritz am Alsterufer entlang. Die Kälte schnitt ihm ins Gesicht und half, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Jedes Mal wenn Greta ihm zu nahe kam, hatte er das schreckliche Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. So sehr drängte es ihn, sie in die Arme zu nehmen. Dann wusste er sich nur zu helfen, indem er sie schroff und scheinbar gleichgültig behandelte. Natürlich war ihm inzwischen klargeworden, dass er dieses Mädchen liebte. Aber seine Chancen, ihr Herz zu gewinnen, waren ungefähr so groà wie die, sein Fuhrunternehmen künftig mit einem HeiÃluftballon zu betreiben. Mit einem Nebenbuhler von seinem Schlag hätte er vielleicht fertig werden können. Aber wie sollte er gegen ein Phantom ankämpfen? Der sagenhafte Christoph weilte im fernen Deutsch-Ostafrika, was Greta nicht davon abhielt, auf seine Rückkehr zu warten.
Es ist an der Zeit, dachte Siggo, sich endgültig von diesem Mädchen zu trennen. Wenn sie das nächste Mal auf ihn zukam, würde er einfach weggehen.
9
D er kalte Dezembertag war in einen frostigen Abend übergegangen, als Greta vor Aufregung zitternd in Siggos Stall stand und mit dem Fuà heftig auf den Boden stampfte.
Siggo vergaà augenblicklich seine guten Vorsätze. Wie schön sie war! Die Locken zerzaust, das Umschlagtuch halb herabgerutscht, das schmale Gesicht rot vor Zorn.
»So eine Gemeinheit!«, rief sie aus. »Mich des Diebstahls zu bezichtigen! In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht ein Gramm Butter gestohlen. Und nun soll ich eine Brosche der Frau Baronin eingesteckt haben! Grundgütiger! Wenn sie mich anzeigt ⦠Was soll dann nur aus meiner armen Mutter werden?« Und aus Leni?, fügte sie im Stillen hinzu.
»Nun mal ganz ruhig«, sagte Siggo, trat zwei Schritte auf sie zu, machte einen wieder zurück. Es sah aus wie ein alberner Tanz, fand er selbst. Offenbar war es sein Schicksal, sich in Gretas Gesellschaft wie ein Idiot aufzuführen. »Was ist denn eigentlich geschehen?«
Also erfuhr er, dass Greta im Haus derer von Spiegel kaum einen halben Tag gearbeitet hatte, als eine wütende Baronin in die Küche gestürmt war. Ihre mit Smaragden eingefasste Brosche, ein Geschenk ihres Mannes zum zwanzigsten Hochzeitstag, sei verschwunden. Greta habedoch beim Auftragen des Mittagessens geholfen und dabei Zeit gehabt, schnell etwas mitgehen zu lassen. Das Schmuckstück sei von unermesslichem Wert, und sie bestehe auf die Herausgabe.
»Ich mag manchmal vergesslich mit meinen Sachen sein, aber bisher war mein Personal immer anständig. Es kommen also nur Sie in Frage«, hatte sie behauptet.
Alles Abstreiten half nichts. Die Baronin drohte mit der Polizei, niemand in der Küche stand Greta zur Seite. Da schnappte sie sich ihr Tuch und flüchtete.
»Was natürlich einem Geständnis gleichkommt«, sagte Siggo nachdenklich.
Greta funkelte ihn zornig an. »Was hätte ich machen sollen? Mich einsperren lassen? Ich bin unschuldig.«
Eine Jungenstimme mischte sich ein: »Das müssen wir aber beweisen.«
»Wo kommst du denn her?«, fragte Siggo.
Oliver streckte
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