Die Tortenbäckerin
gewarnt.«
Greta lief rot an. Jetzt ist alles aus, dachte sie. Ich kann meine Sachen zusammenpacken.
»Sie meinte, Sie seien frech und der Herrschaft gegenüber unverschämt und würden oft ungenieÃbare Dinge zusammenkochen.«
»Mutter«, flüsterte Margarete zaghaft. »Es hat so viel Freude gemacht. Bitte schimpf nicht mit Greta.« Ihre kleine Schwester hatte sich in Erwartung eines Donnerwetters unter den Tisch verkrochen.
Mechthild Klasen erhob sich. »Ich war schon immer der Meinung, dass Freia Hansen eine dumme, eingebildete Pute ist. Ich bin froh, dass Sie bei uns kochen, bis unsereUrsula wiederkommt.« Ursula war die junge Köchin der Familie Klasen. Sie hatte gerade ein Kind bekommen, wie Greta wusste, und würde noch einen Monat ihrer Arbeitsstelle fernbleiben müssen.
»Ja, und vielen Dank, liebes Fräulein Voss.«
»Woâ¦Â«, sie musste sich räuspern. »Wofür?«
»Dafür, dass Sie mir die Augen geöffnet haben. Wissen Sie, ich selbst stamme aus kleinen Verhältnissen. Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit hat meine Mutter mit mir zusammen gebacken. Wie konnte ich das nur vergessen? Wie â¦Â« Sie verstummte, aber Greta konnte sehen, was in ihr vorging: Wie konnte ich bei all meinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nur übersehen, dass meine Kinder einsam und unglücklich sind?
Mechthild Klasen zog ihre älteste Tochter zu sich heran und drückte ihr einen Kuss auf das mehlbestäubte Haar. Ulrike kam unter dem Tisch hervor und setzte sich auf ihren SchoÃ. Lächelnd hängte Greta ihre Schürze an den Haken und zog sich leise zurück. Am nächsten Tag, das wusste sie, würde sie ein anderes Haus vorfinden, ein »Haus der lachenden Kinder«.
»Wie ist es, Mädchen«, hörte sie Mechthild Klasen noch fragen. »Wollen wir morgen zusammen auf den Weihnachtsmarkt gehen? Ihr dürft mit dem Karussell fahren, und jede bekommt einen Liebesapfel. Danach schauen wir uns noch die wilden Tiere in ihren Käfigen an. Aber jetzt backen wir erst einmal die WeiÃen Kuchen.«
Der Jubel klang noch in Gretas Ohren nach, als sie das Haus längst verlassen hatte und sich bereits auf dem Heimweg nach Altona befand.
11
D er Durchgang zum Hinterhaus der Familie Kröger war so schmal, dass Greta sich gegen die schmutzige Hauswand drücken musste, um hindurchzukommen. Der Gestank nach Unrat, dem allgegenwärtigen Kohl und menschlichen Ausscheidungen stach ihr in die Nase, und sie fragte sich, wie es hier im Hochsommer riechen mochte. Nur einmal war sie bisher in die Wohnung der Familie gekommen, und das war im Spätherbst gewesen. Zuvor hatte man sich in einer kargen, kleinen Grünanlage ganz in der Nähe getroffen. Darauf hatte Christoph Hansen bestanden, der bei den früheren Treffen dabei gewesen war. »Ich bin ein Ãsthet, liebste Greta. Ich kann nicht in die Höhle solcher Leute gehen.«
Sie hatte sich gefügt. Ihr war der Ort egal. Hauptsache, sie konnte Leni sehen. Im Herbst jedoch hatte sie die Krögers alleine besucht. Sie hatte unerwartet einen halben Tag freibekommen und die Gelegenheit genutzt. Christoph war so schnell nicht abkömmlich gewesen. Der Gestank war ähnlich schlimm wie jetzt.
Greta hielt sich ein Taschentuch vor die Nase, setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen und hielt den kleinen Korb mit den Weihnachtsplätzchen hoch, damit kein Dreck hineinkommen konnte. Die Stiege, die zur Etagenwohnung im ersten Stock hinaufführte, war schmal undsteil, das Seil, das als Geländer diente, zum Teil abgerissen. Der Treppenabsatz war so klein, dass Greta sich kaum umdrehen konnte. Sie klopfte zögerlich gegen die Wohnungstür, musste jedoch lange warten, bis ihr endlich geöffnet wurde.
Lotte Kröger erschien, groÃ, breitschultrig, mit grauen Haarsträhnen, die sich aus dem unordentlichen Knoten gelöst hatten. »Sie!«, stieà sie aus und wich einen halben Schritt zurück.
Greta merkte genau, wie erschrocken die Frau war, und plötzlich griff eine nackte Angst nach ihr. Nur mit äuÃerster Anstrengung konnte sie weiteratmen. »Leni!«, stieà sie hervor. »Was ist mit ihr?«
»Dem Gör gehtâs gut«, beeilte sich die grobschlächtige Frau zu sagen. Sie stand im Türrahmen und schien nicht gewillt, die Besucherin hereinzulassen.
In jeder anderen Situation hätte Greta sich in die Flucht
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