Die Tortenbäckerin
neue Wege beschreiten sollte, und sie fürchtete sich davor. War das nicht ein ganz und gar verrücktes Unternehmen? Was würde geschehen, wenn sie scheiterten? Erst jetzt, in der warmen Stube der Familie Freesen, merkte sie, wie die letzten Wochen voller Sorgen und Kummer an ihren Nerven gezerrt hatten. Sie fühlte sich schwach, nicht bereit, einen groÃen Kampf aufzunehmen. Und ihre alte Ãngstlichkeit stand ihr zusätzlich im Weg. Sie vergaÃ, wie viel sicherer sie in letzter Zeit geworden war, und fühlte sich wieder wie das schüchterne, zu klein geratene Mädchen, über das die anderen Kinder in ihrem Viertel lachten.
»Ich weià nicht«, murmelte sie zögernd. »Ich habe auch schon an etwas Ãhnliches gedacht, doch glaube ich nicht, dass wir es schaffen können.«
Siggo schaute sie lange und eindringlich an. So lange, dass Greta rot anlief und nicht mehr wusste, wohin sie ihren Blick wenden sollte.
»Sei kein Hasenfuë, sagte Mathilde. »Natürlich schaffst du das, und ich unterstütze dich.«
»Aber â¦Â«
»Wo ist dein Schneid geblieben, Deern?«
»Ach, Tante, du weiÃt gar nicht â¦Â« Rasch kniff sie die Lippen zusammen. Zum Glück hatte Mathilde nichtbemerkt, dass Greta um ein Haar mit ihrem groÃen Geheimnis herausgeplatzt wäre. Ich muss besser aufpassen, dachte sie erschrocken.
Siggo hob die Hand. »Wir müssen es versuchen, Greta. Wir haben kaum eine andere Wahl.«
Sie wusste, er hatte recht, aber sie dachte an ihre Erlebnisse im Hause Hansen und von Spiegel. »Wenn ich nur einen einzigen Fehler mache, war alles umsonst.«
»Dummâ Tüch«, sagte Mathilde. »Dummes Zeug. Du wirst Erfolg haben. Das spüre ich in meinen alten Knochen.« Greta staunte. Ausgerechnet Mathilde, eine Gegnerin von jeglicher Neuerung, redete ihr gut zu. Sie hatte geglaubt, ihre Tante gut zu kennen, nun stellte sie fest, dass hinter Mathildes behäbiger Erscheinung ein wacher, moderner Geist lauerte.
Am Ende wurde Greta überstimmt, und so willigte sie, noch immer zögerlich, schlieÃlich ein.
Doch ein Punkt musste noch geklärt werden. Welche Beteiligung an den Einnahmen schwebte Siggo vor?
Ãberrascht bekam sie zu hören, dass er ihr ohne Entgelt helfen wollte.
»Aber das geht doch nicht. Du hast Unkosten, du opferst deine Zeit, und um dein Geschäft steht es ohnehin nicht sonderlich gut.« AuÃerdem, fügte sie in Gedanken hinzu, möchte ich nicht noch tiefer in seiner Schuld stehen. Wie soll ich ihn dann guten Gewissens abwehren, wenn er eines Tages versuchen sollte, mich zu küssen? Ob seine Lippen wohl weich waren? Oder eher hart und energisch? Diesen Gedanken hing sie eine Weile nach, ohne zu einem klaren Ergebnis zu kommen, und überhörte dabei, wie Mathilde und Siggo miteinander verhandelten.
»Also gut«, sagte der junge Fuhrunternehmer endlich. »Zwanzig Prozent für mich, das ist gerecht.«
Niemand achtete auf das, was ein alter Mann am Fenster murmelte. »Die Jugend von heute mit ihren neumodischen Ideen ⦠wo soll das noch hinführen.« Einzig Gerlinde Freesen, die ihm gegenüber an einer Stopfarbeit saÃ, schaute ihn an, mit neuer, zaghafter Hoffnung im Blick.
Schon zwei Tage später trat Greta ihre erste Aushilfsstelle bei Familie Klasen am Mittelweg an und benötigte keine vierundzwanzig Stunden, um sich bei dieser Herrschaft unbeliebt zu machen. Dachte sie zumindest. Energisch rief sie die Kinder an jenem Nachmittag zu sich in die Küche. Sie kamen nur zögernd ins Souterrain.
»Wir dürfen hier nicht sein«, sagte Margarete, die sich mit ihren elf Jahren für die knapp neunjährige Ulrike verantwortlich fühlte. »Mutter würde das nicht gutheiÃen, und Beatrice ist nur kurz zum Wochenmarkt gegangen.« Beatrice war die französische Gouvernante der Kinder, und so wie Greta die Mademoiselle inzwischen kannte, würde sie mindestens zwei Stunden fortbleiben. Beatrice war ein lebenslustiges Mädchen und hatte diverse Verehrer unter den Händlern auf dem Markt. Greta konnte es ihr nicht verdenken, dass sie so oft wie möglich aus diesem stillen Haus am Mittelweg flüchtete. Insgeheim hatte sie es bereits das »Haus der einsamen Kinder« getauft, denn Margarete und Ulrike waren meistens sich selbst überlassen. Die Eltern hatten offenbar Besseres zu tun, als sich mitihrem Nachwuchs
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