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Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Janson
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warum sie Hans Kröger nicht unter die Augen treten sollte. Andererseits war sie selbst ganz froh, wenn sie dem Mann nicht begegnen musste. Wenn er sie ansah, erzitterte etwas in ihrem Innersten und weckte Erinnerungen, die viel, viel schlimmer waren als alle Wanzen und Kakerlaken dieser Welt.
    Kaum war die Wohnungstür geschlossen, sagte Leni: »Zimt. Ich rieche Zimt. Ich kann mich daran erinnern.«
    Â»Kluges Kind«, erwiderte Greta. Sie nahm Leni hoch, ging mit ihr zum Sofa und setzte sich. Leni schmiegte sich in ihren Schoß, und Greta gab sich alle Mühe, nicht an das Ungeziefer im Rosshaar zu denken.
    Â»Und was noch?«, fragte Leni aufgeregt. Ihre Augen wanderten ziellos hin und her, aber ihr Näschen schnupperte wissend.
    Â»Wahrscheinlich riechst du das Nelkenpulver«, sagte Greta. »Und die Zitrone. Ich habe dir Weiße Kuchen zu Weihnachten gebacken.«
    Â»Sind das Plätzchen?«
    Â»Ganz richtig. Sie sind klein, flach und rechteckig. Hier, fühl mal.«
    Mit dem schwierigen Wort rechteckig konnte Leni nichts anfangen, aber ihre Finger ertasteten flink das Plätzchen, das Greta ihr hinhielt, und ihr ganzes Gesicht erstrahlte.
    Â»Du darfst es auch essen. Ich habe eine Tüte voll.«
    Leni schüttelte den Kopf.
    Â»Warum denn nicht?«, fragte Greta. »Magst du keine Plätzchen mehr?«
    Die hellen Augen füllten sich mit Tränen, ein Schluchzen schüttelte den mageren Körper. »Ich … ich will sie mir aufheben. Jeden Abend will ich nur ein ganz kleines Stückchen essen, damit sie so lange reichen, bis du das nächste Mal kommst.«
    Ein Schmerz schoss durch Gretas Brust, scharf und spitz wie eine Speerspitze. Sie hielt das heulende Kind in ihren Armen und strich ihm sanft über das Haar.
    Â»Ich werde bald wiederkommen. Das verspreche ich dir. Ich werde dich nie wieder so lange warten lassen.«
    Sie wiederholte die Worte hundertmal oder mehr. Endlich beruhigte sich Leni. Greta hielt ihr ein Taschentuch hin, und Leni schnäuzte sich lautstark.
    Â»Du wirst wiederkommen? Wirklich?«
    Â»Ich schwöre es.«
    Â»Auch wenn ich bei den Juden bin?«
    Â»Was? Leni, wovon redest du?« Die schmalen Schultern zuckten wieder, aber diesmal wartete Greta keinen neuerlichen Weinkrampf ab. »Hab keine Angst, Kleines. Sag mir einfach, was du weißt.«
    Â»Ich … Vati hat Mutti von den Juden erzählt. Sie wollen mit dem großen Schiff fahren, aber sie sind traurig, weil ihre kleine Tochter tot ist. Sie ist erfroren, glaube ich. Kannich auch erfrieren, wenn ich zu den Juden gehe? Sind die böse?«
    Â»Unsinn«, erwiderte Greta, während ihr Kopf versuchte, die wirren Informationen zu verarbeiten. »Juden sind Menschen wie alle anderen auch. Dieser Familie ist einfach nur ein Unglück geschehen.«
    Leni gab sich mit der Erklärung zufrieden. »Die armen Juden«, sagte sie voller Inbrunst. »Aber ich möchte lieber hierbleiben, oder ich möchte … ich möchte …«
    Â»Schon gut«, sagte Greta. »Das möchte ich auch am liebsten. Ich hätte dich so gern bei mir. Aber es ist furchtbar schwierig.«
    Â»Weil ich nichts tauge.«
    Greta erschrak. »Unsinn«, sagte sie erneut. »Wer redet dir so etwas ein?«
    Â»Mutti«, kam es leise zurück.
    Zorn stieg in Greta hoch, und sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. Es half Leni nichts, wenn sie mitbekam, was Greta von Lotte Kröger hielt. »Nun, du darfst nicht alles glauben, was deine Mutti sagt. Du bist ein ganz besonderes kleines Mädchen.«
    Â»Weil ich blind bin?«
    Â»Nein. Nicht deswegen. Sondern weil du klug bist und tapfer.«
    Â»Weißt du«, sagte Leni leise und schmiegte sich noch enger an Greta. »Manchmal fühle ich mich gar nicht tapfer.«
    So blieben sie sitzen, in enger Umarmung, bis sie Schritte auf der Treppe hörten, Lotte Kröger hereinplatzte und Greta davonscheuchte.
    Für den Heimweg nach Altona brauchte Greta drei Stunden. Die ganze Zeit lang dachte sie über Lenis merkwürdige Bemerkung nach, aber sie kam einfach nicht darauf, was das zu bedeuten hatte. Das Kind war äußerst phantasiebegabt, aber so etwas konnte sich eine Fünfjährige kaum ausdenken. Je weiter sich Greta an diesem Nachmittag von Leni entfernte – zu Fuß, mit der Pferdebahn und ein kurzes Stück sogar mit der Elektrischen –, desto größer wurde

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