Die Tortenbäckerin
ihre Angst um das Kind.
12
T rotz der neuen Stellung bei Familie Klasen feierte Greta mit ihrer Tante nur ein bescheidenes Weihnachtsfest. Die Zeiten waren schwer, und es galt, jede Mark zu sparen. So hatten sie nur ein paar Tannenzweige um eine Kerze gelegt, sangen die schönen alten Weihnachtslieder und naschten vom bunten Teller, auf dem auÃer Ãpfeln und Nüssen auch Gebäck und Zuckerstangen lagen.
Spät an diesem Heiligen Abend klopfte es an der Tür, und herein kam Siggo mit einem kleinen Tannenbaum in der Hand. Er war mit selbstgebastelten Silbersternen und Zuckerkringeln geschmückt, und Greta fand, er war tausendmal schöner als der prachtvolle Weihnachtsbaum der Familie Hansen, den sie im letzten Jahr so bewundert hatte.
Siggo wirkte in der enge Stube noch gröÃer als sonst, seine Haut glänzte rosig, so kräftig hatte er sich geschrubbt, und er trug unter der wollenen Weste ein gestärktes Hemd mit steifem Kragen, der ihm offensichtlich unbequem war, da er mit der freien Hand daran herumzerrte. Hinter ihm schlüpfte Oliver in die Stube. Greta fand, er sah so verfroren aus, als hätte er den Abend bisher im Treppenhaus oder gar im Freien verbracht.
Greta holte schnell ein paar Kissen aus ihrer undMutters Schlafkammer und setzte sich dann mit Siggo und Oliver auf den Boden, während Mathilde es sich im Sessel bequem machte und mit ihrer klaren Stimme die Weihnachtsgeschichte erzählte. Ihr Blick ruhte dabei auf dem Jungen, der noch abgezehrter und verwahrloster aussah als sonst.
Gretas Gedanken wanderten zu Christoph im fernen Afrika. Seit er fort war, hatte sie noch kein Lebenszeichen von ihm erhalten. Ob er wohl genauso oft an sie dachte wie sie an ihn? Wurde der Heilige Abend dort unten in der Hitze gefeiert? War er wenigstens heute mit seiner Sehnsucht bei ihr?
Doch schon im nächsten Moment drängte sich Leni in ihre Gedanken, und das Herz wurde ihr schwer. Leni, die plötzlich Angst vor den Juden hatte, Leni, die viel zu dünn war und die fürchtete, Greta würde nicht mehr wiederkommen. Leni, einsam, unglücklich, einem bösen Schicksal überlassen.
Als Greta laut aufschluchzte, sahen die anderen sie überrascht an.
»Was hast du, Deern?«, fragte Mathilde mit ungewohnt sanfter Stimme. »Du solltest zufrieden sein an diesem Heiligen Abend. Deiner Mutter geht es den Umständen entsprechend gut, du hast noch mindestens zwei Wochen lang deine Stellung, und du bist gesund. Worüber also beklagst du dich?«
Ihr Blick sagte noch etwas anderes: Wenn du wegen des Stutzers Christoph Hansen flennst, kriegst du es mit mir zu tun.
Greta fuhr sich über die Stirn, als könnte sie so ihre Sorge um Leni fortwischen, doch es gelang ihr nicht.
Von Sankt Johannis drang das Geläut der Glocken herüber, und mit jedem Schlag tropfte eine Träne aus Gretas Augen.
»Wein doch nicht«, murmelte Siggo. Er streckte die Hand nach ihr aus, zog sie aber wieder zurück. Greta war froh darüber. Sie fürchtete sich davor, vor aller Augen endgültig zusammenzubrechen.
»Du kannst meine Zuckerstange haben«, bot Oliver an, und beinahe hätte Greta gelächelt, weil sie wusste, welch ungeheure Ãberwindung ihn dieses Angebot kostete.
»Nein«, sagte sie schnell zwischen zwei Schluchzern. »Aber vielen Dank.«
»Dann ⦠äh ⦠bringe ich meinen Eltern ein Stück.« Fort war er, bevor ihn jemand aufhalten konnte.
»Nun, ich muss auch ins Bett«, meinte Mathilde und gähnte ausführlich. »Eine alte Frau braucht auch an Weihnachten ihren Schlaf. Gehabt euch wohl.«
Plötzlich war Greta mit Siggo allein. Das Glockenläuten war verstummt, Stille legte sich über die kleine Wohnung, in der der alte Kohleherd tapfer gegen die Dezemberkälte anbollerte.
»Sag es mir«, murmelte Siggo.
Greta sah zu ihm hoch, die Augen liefen ihr noch immer über. »Was?«
Sein Blick war voller Zärtlichkeit. »Was dich so traurig macht. Ist es dein Liebster im fernen Afrika?«
Sie schüttelte den Kopf und bemerkte, wie ein leises Lächeln über sein Gesicht huschte. Aber sogleich wurde er wieder ernst. »Was ist es dann? Was bedrückt dich? Ich möchte dir helfen.«
In Gretas Innerem tobte plötzlich ein schrecklicherKampf. Es drängte sie, diesem Menschen ihren Kummer zu erzählen, gleichzeitig fürchtete sie sich davor. Er würde sie verurteilen,
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