Die Tortenbäckerin
er würde sich von ihr abwenden. Und sie wusste nicht, wie sie es ertragen sollte, seine Freundschaft zu verlieren. Erst in diesem Moment begriff sie, dass Siggo zu einem festen Bestandteil in ihrem Leben geworden war. Nicht nur ihn, auch seine Mutter Gerlinde, die Greta weiterhin in jeder freien Minute in der Kunst des Backens unterrichtete, mochte sie nicht mehr missen.
»Greta. Rede mit mir.« Plötzlich lag seine groÃe raue Hand auf ihrer, seine Wärme strahlte bis in ihre Fingerspitzen.
Da gab es für sie kein Halten mehr.
»Ich ⦠ich habe ein Kind!«
Schweigen. Langes, undurchdringliches Schweigen. Siggos Hand fühlte sich steif an, sein ganzer Körper war gespannt.
»Ein Kind«, flüsterte er endlich. »Das ist es also. Erzähl mir davon.«
Greta jedoch zauderte wieder, zu schrecklich war die Erinnerung, zu schwer wog plötzlich jedes Wort.
So schwiegen sie erneut, aber diesmal schwiegen sie gemeinsam, und es gab keine Furcht, keine Anklage. Zögernd gelang es ihr, sich zu entspannen.
Siggo lieà ihr Zeit, und endlich fand Greta den Mut, zu sprechen: »Es war am Tag, als wir die Todesnachricht von meinem Vater bekommen haben«, begann sie zögernd, sprach dann jedoch immer flüssiger. »Sein Schiff sank vor den Azoren. Niemand konnte sich retten. Ich war an dem Tag bei Tante Mathilde in der Villa Hansen und lernte von ihr, wie man Karpfen in BiersoÃe kocht.« Sie geriet insStocken, wunderte sich, dass sie sich noch an das Gericht jenes Tages erinnern konnte, erzählte dann weiter. »Meine Mutter schickte einen Boten mit der furchtbaren Nachricht. Tante Mathilde hat danach weitergekocht, aber sie heulte so viel, dass die BiersoÃe bestimmt ganz verwässert war. Ich ⦠ich habe mich nach oben in die Beletage geschlichen. Ich wollte mit Christoph sprechen. Ich hoffte, er würde mich trösten.«
Statt ihm traf sie jedoch auf seinen ältesten Bruder Friedrich, einen jungen Mann mit groÃen Zukunftsaussichten und kalten blauen Augen. Er war bekannt dafür, dass er jeder Schürze nachlief, und an diesem unglücklichen Tag hatte er ein paar Gläser schweren Portwein zu viel getrunken. Er sah Greta herumschleichen, erinnerte sich daran, dass sie ein ziemlich hochnäsiges kleines Ding war, und beschloss, ihr die Arroganz auszutreiben.
»Er hat mich ins Vestibül gezerrt und â¦Â« Ihre Stimme brach. Aussprechen konnte sie nicht, was dann geschah.
»Dieser Lump!«, stieà Siggo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Den bringe ich um!« Er sprang auf und lief erregt in der Stube hin und her. »Wenn ich den in die Finger kriege â¦Â«
»Bitte«, flüsterte Greta. Dann, etwas lauter: »Hör auf. Das hilft mir jetzt auch nicht.«
Er setzte sich wieder auf die Kissen am FuÃboden, seine Fäuste jedoch waren geballt, bereit, jeden Moment zuzuschlagen.
»Zwei Monate später wusste ich, dass ich ein Kind erwartete«, fuhr Greta fort. »Ich habe Christoph um Hilfe gebeten. Ich ⦠wollte es wegmachen lassen. Aber im letzten Moment habe ich es mit der Angst bekommen. Bei deralten Frau unten am Hafen ⦠es war alles so dreckig und hat gestunken. Ich ahnte, ich würde sterben, wenn sie mich anfasste.«
Siggo nickte. »Was hat deine Mutter dazu gesagt? Und deine Tante?«
»Sie wissen beide nichts davon. Ich konnte es ihnen nicht sagen. Es hätte ihnen das Herz gebrochen. Ich bin weggefahren. Aufs Land nach Altengamme. Christoph hat mich bei einer Bauernfamilie untergebracht, und dort habe ich das Kind bekommen. Aber es gab eine Komplikation.« Greta erinnerte sich daran, wie sie während der Schwangerschaft eines Morgens mit roten Pusteln am ganzen Körper aufgewacht war. »Ich habe die Röteln bekommen und hatte viele Tage hohes Fieber.«
Ratlos hob Siggo die Brauen. Er verstand nicht.
Greta musste hart schlucken. »Ich weià nicht genau, ob es an meiner Krankheit liegt, aber mein Kind, meine kleine Tochter, ist blind zur Welt gekommen.«
»Mein Gott.« Siggo vergrub sein Gesicht in den Händen. »Welch ein Unglück!«
Greta sah ihn aus roten Augen an. »Ja. Welch ein Unglück.«
»Ist sie vollkommen blind? Kann sie gar nichts sehen?«
Greta hob die Schultern. »Sie kann Hell und Dunkel unterscheiden. Das ist alles.«
»Was ist aus ihr geworden? Wo ist deine Tochter heute? Warum
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