Die Tortenbäckerin
gegeben, und Greta musste von früh bis spät schuften. Die Zeit der »Zwölften«, eben der zwölf Tage zwischen Weihnachten und dem Tag der Heiligen Drei Könige, war in Hamburg traditionsgemäà eine Zeit der Völlerei, und die Köchinnen kamen in diesen Tagen kaum zur Ruhe. Schon vor dem Morgengrauen wurden Gänse gerupft, Fische ausgenommen und Rinderbraten in würzige Marinade gelegt, und erst spät in der Nacht wurde das letzte Essen abgetragen. Wenigstens musste Greta an diesem Morgen erst zwei Stunden später zur Arbeit erscheinen, weil sie gestern alles für das Mittagsmahl vorbereitet hatte. So konnte sie auf einen Sprung zu Oliver ins Krankenhaus. Siggo würde sie nachher auf direktem Weg in den Mittelweg bringen.
Wenn ich doch nur besser verdienen würde, überlegte Greta. Dann müsste ich mir um Mutter keine Sorgen machen, und ich könnte für Leni vielleicht eine bessere Unterbringung finden. Ihr Lohn bei Familie Klasen war gut, und für Mitte Januar wartete bereits ein neuer Einsatz als Leihköchin in Blankenese auf sie. Doch viel sparen konnte sie nicht. Vielleicht, dachte Greta auf einmal, muss ich die Preise erhöhen.
»Wir sind nicht teuer genug«, sagte sie zu Siggo.
Der wandte sich von Oliver ab und sah sie überrascht an. »Was?«
»Wir verlangen zu wenig Geld für meine Dienste. SchlieÃlich helfe ich den Familien in einer Notsituation. Das sollte besser bezahlt werden.«
Mathilde hob die Brauen. »Werde bloà nicht unverschämt, Deern. Die Herrschaften sitzen am längeren Hebel. Sie lassen nicht zu, dass â¦Â«
»Die Herrschaften nutzen uns aus, und das weiÃt du, Tante Mathilde. Du bildest dir ein, gut zu verdienen, aber trotzdem musst du seit vielen Jahren in einem Loch hausen, alte Kleidung tragen und jeden Pfennig zweimal umdrehen.«
»Das ist ganz allein meine Sache«, erwiderte Mathilde eingeschnappt.
Siggo dagegen wirkte nachdenklich. »Du hast schon recht, Greta. Es ist wirklich zu wenig, was dir gezahlt wird. Mir geht es mit meinem Unternehmen ja ganz ähnlich, aber ich habe diesen verdammten Konkurrenten, der die Preise so verdammt niedrig hält.«
»Unterstehen Sie sich, noch einmal zu fluchen«, schimpfte Mathilde. »Dies hier ist ein Krankensaal und keine Kutscherkneipe.«
Siggo grinste schief. »Ich bitte um Vergebung. Wenn ich an Oswald Lohmann denke, gehen mir die Pferde durch.«
»Wir sind hier auch nicht auf der Rennbahn«, erwiderte Mathilde, zeigte sich aber besänftigt.
Niemand bemerkte, dass Greta plötzlich zitterte. Die Begegnung mit Lohmann an dem Kirchhof von Sankt Johannis stand ihr vor Augen, und sie roch wieder seinen nach Bier und Kohl stinkenden Atem. Jeden Abend betete Greta, der Mann möge ihr nie wieder zu nahe kommen, doch ihr Verstand sagte ihr, dass es früher oder später zu einer erneuten Konfrontation kommen musste. Was danngeschehen würde, vor allem, wenn Siggo sich einmischte, das wusste Gott allein.
Greta zwang sich, ruhig zu werden, und sagte mit leiser Stimme: »Wir haben über mein Geschäft geredet. Ich muss versuchen, mehr zu verdienen.« Es gab da noch eine weitere Idee, über die sie seit ein paar Tagen nachdachte. Darauf gekommen war sie, als sie die Milchfrau beobachtete, die mit seinem Karren durch die GeorgstraÃe fuhr und den Hausfrauen die Milch abmaÃ. Da hatte Greta eine Weile zugeschaut und gespürt, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Wie bei zwei Zahnrädern, deren Abbild sie einmal in einer Zeitung gesehen hatte, fügten sich ein paar lose Gedanken zusammen und griffen ineinander. Dann jedoch war sie weitergegangen und hatte über sich selbst den Kopf geschüttelt. »Greta Voss, du bist ein Fall für die Idiotenanstalt!«, hatte sie laut gesagt und sich die misstrauischen Blicke von zwei Hausfrauen zugezogen, die gerade mit ihrem halben Liter Milch zurück in ihre Wohnungen strebten. Greta hatte genau gesehen, wie die zwei dann die Köpfe zusammensteckten. Oh Gott, hatte sie gedacht. Jetzt haben die Weiber noch mehr über mich zu tratschen. Ihr war bereits zu Ohren gekommen, was neuerdings in der Nachbarschaft über sie geredet wurde. Ob sie sich wohl einen reichen Gönner zugelegt habe, fragte man sich. Wie sonst lieÃe sich erklären, dass sie ihre kranke Mutter in die Ferien geschickt habe?
Nein, hatte Greta noch im selben Moment dort in der
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