Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
im Laden hilft, weil Marianne eigentlich schon nicht mehr arbeiten sollte und nur noch stundenweise kommt. Risikoschwangerschaft, musst du wissen. Hat deine Mutter erzählt. Ausführlich.«
Marianne schwanger, unglaublich. Marianne, das späte Mädchen. Sie hatte als Vierzehnjährige eine Lehre bei uns angefangen, damals war ich neun Jahre alt. Sie war schmal, unscheinbar und bescheiden, und meines Wissens gab es keine überlieferten Männergeschichten. Marianne schwanger! Meine Eltern waren vermutlich deswegen wie vom Donner gerührt. Ich gackerte innerlich, als ich mir die Empörung meiner Mutter vorstellte, die es seit vierundzwanzig Jahren gewöhnt war, frei über Mariannes Zeit verfügen zu können.
Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich alles und jeden hier kannte wie einen Film, den ich schon hundertmal gesehen hatte.
Du kannst noch so weit weg gewesen sein, dein Heimatdorf saugt dich, ohne dir eine Eingewöhnungsphase zu gönnen, ratzfatz wieder in seine Mitte. Du liebe Güte – meine alte Lehrerin und meine Mutter mit ihrem Putzeimer-Accessoire gestern, diese Marianne-Geschichte … Ich war schon wieder mittendrin.
Im Umkehrschluss: Nicht nur ich kannte jeden und seine Geschichte, sondern auch jeder kannte mich und meine Geschichte. Nicht in jedem Detail, aber alle wussten natürlich, dass die Kleine von Bernauers hoch hinaus gewollt hatte und nach Paris gegangen war. Das muss man sich mal vorstellen: nicht nur eine richtig große Stadt, sondern Paris, das war Ausland . Mit einem ausländischen Mann .
Dass wir uns nicht missverstehen: Es handelt sich hier nicht um eine kleinbürgerliche Form von Rassismus, sondern mein Handeln hatte einfach den kollektiven Dorf-Horizont gesprengt, weil es schlicht zu exotisch war.
Da hätte es auch keinen Unterschied mehr gemacht, wenn ich verkündet hätte, als Affenfrau auf Borneo leben zu wollen. Während unserer Abschiedsphase war meine Mutter in der Öffentlichkeit zu einem wandelnden, atmenden Was-haben-wir-bloß-falsch-gemacht-Klischee mutiert und hatte sich mir gegenüber abwechselnd tödlich beleidigt, empört oder vorwurfsvoll verhalten.
»Ich weiß nicht, ob ich die Idee so super finde«, sagte ich, »an den Laden meiner Eltern hatte ich eigentlich nicht gedacht.«
»Dein Vater wird einen Luftsprung machen. Vielleicht heimlich im Keller, damit du es nicht siehst, aber er wird einen machen, das schwöre ich dir. Deine Mutter auch.«
»Aber garantiert noch heimlicher«, grummelte ich. »Und dann stehe ich im Laden, und alle quatschen mich an und fragen mich aus, was denn mit Paris ist und so. Finde ich nicht so prickelnd.«
»Na und? Das werden sie sowieso tun. Was glaubst du denn, wie lange du verheimlichen kannst, dass du wieder hier bist? Und dann werden sie dich nach und nach auf der Straße anquatschen oder hier auf der Matte stehen. Wenn du im Laden arbeitest, hast du es nach einer Woche hinter dir.«
»Ich denke darüber nach. Aber ich muss erst mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen und mich richtig eingerichtet haben, bevor ich der heiligen Waltraud begegnen kann.«
»Gutes Stichwort: einrichten«, rief Marie und leerte ihre Kaffeetasse mit einem Schluck. »Lass uns einkaufen fahren!«
KAPITEL 8
Marie schaffte es tatsächlich, den Transporter rechtzeitig wieder abzuliefern. Und nicht nur das: Schlau, wie wir waren, hatten wir unsere Beute bereits ausgepackt und das Verpackungsmaterial – mehrere Quadratkilometer Pappe sowie Berge von Styropor und Plastikfolie – zur Deponie gefahren.
Während Marie den Wagen zurückbrachte, sortierte ich unseren Einkauf. Die Einzelteile der beiden schmalen Kleiderschränke lagen schon in meinem Zimmer; dort war für den Zusammenbau am meisten Platz, und wir mussten sie nur noch an die Wand schieben. Über den Flur und das Wohnzimmer verteilten sich weitere Bausätze: ein Regal, zwei zu den Schränken passende Kommoden, ein rollbarer Schreibtisch, ein poppiger Drehstuhl in Pink, ein Couchtisch, ein Nachttisch. In der Küche wartete eine große Korbtruhe, die bis zum Rand mit Kissen, Bettbezügen, Vorhängen und sonstigem Deko-Schnickschnack gefüllt war. Später würde die Truhe am Fußende des Bettes stehen und tagsüber das Bettzeug aufnehmen. Vor der Haustür lagen noch zwei zusammengerollte, zottelige Teppiche, einer in Maigrün für mein Zimmer, den anderen, goldfarbenen, hatte Marie fürs Wohnzimmer gekauft. Zwei große Plastikeinkaufstaschen enthielten Lampen-Puzzles.
Ich schnappte mir ein
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