Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
Paket, das die Einzelteile für eine Tischlampe enthielt, breitete seinen Inhalt auf dem Wohnzimmertisch aus und studierte die Bauanleitung, als Marie hereinkam. Sie trug zwei Kartons mit Pizza, aus denen betörender Duft aufstieg. Ich ließ sofort alles stehen und liegen und ergab mich willenlos dem lockenden Ruf von geschmolzenem Käse und knusprigem Pizzateig.
Wir setzten uns auf die Holzbank vor meinem Zimmer und mampften direkt aus dem Karton, während wir die verschiedenen Möglichkeiten, mein Zimmer einzurichten, akribisch und in jeder nur denkbaren Variation durchdeklinierten.
Während der nächsten fünf Stunden bauten wir die Möbel zusammen.
Marie wirbelte mit dem Akkuschrauber wie John Wayne mit seinem Colt, während ich meist blöde daneben stand, Seitenteile halten durfte und sie hurtig eine Schraube nach der anderen versenkte. Es war Mitternacht, als die letzte Glühbirne eingeschraubt war.
»Feierabend«, trompetete Marie und räumte das benutzte Werkzeug sorgfältig in diverse Koffer. Die zusammengebauten Möbel standen kreuz und quer in meinem Zimmer herum, nur die Kleiderschränke standen schon an ihrem Platz.
»Willst du noch weitermachen?«
Marie gähnte sekundenlang und ließ damit keinen Zweifel daran, dass sie sich gern ins Bett verabschieden würde.
»Wenn dich nicht stört, dass ich noch ein bisschen Krach mache? Ich möchte noch meine Koffer auspacken und so.«
»Ich werde jetzt duschen, im Bett noch ein paar Seiten lesen und dann vermutlich übergangslos ohnmächtig werden. Bei nichts davon wird mich ein bisschen Gerumpel stören. Wenn ich morgen früh bis zehn nicht aufgetaucht bin, darfst du mich sehr gern mit einem Kaffee wecken. Schlaf gut«, sagte Marie und trug die Werkzeugkoffer zurück an ihren angestammten Ort in ihrem »Wirtschaftsraum«, bevor ich sie in den ersten Stock steigen hörte.
Von Maries Ordnungssinn könnte ich mir mal gut eine Scheibe abschneiden, dachte ich. Sie wusste bestimmt immer auf Anhieb, wo sie einen Schraubenzieher, eine Glühbirne oder eine Batterie fand; bei mir war das immer ein stundenlanges Drama.
Ich beschloss, mich von ihr in diesem Zusammenhang positiv beeinflussen zu lassen, und wandte mich der Frage zu, wo meine neuen Möbel stehen sollten.
Zuerst stöpselte ich mein neu erworbenes Weckradio in eine Steckdose und ließ leise den erstbesten Sender dudeln, den ich gefunden hatte. Zwei Stunden später stand alles an seinem Platz, der zottelige Teppich lag ausgebreitet vor dem Bett, das sich mit Hilfe der großzügig eingekauften Zierkissen tagsüber in ein gemütliches Sofa verwandeln würde. An den Fenstern hingen neue Vorhänge, zwei Stehlampen mit farbigen Stoffschirmen verbreiteten anheimelndes Licht. Den Inhalt meiner beiden Koffer verteilte ich auf die beiden Kommoden und Kleiderschränke, deren Kapazitäten ich damit bei Weitem nicht ausgenutzt hatte.
Ich ließ mich in den ausladenden Korbsessel fallen, den wir in der Restposten-Abteilung des Möbelhändlers gefunden hatten, und blickte mich um.
Ein wunderschönes Zimmer, eingerichtet in wunderschönen Farben und mit wunderschönen Möbeln – und es sah aus wie ein Musterzimmer in einem Möbelkatalog.
Es gab nicht einen einzigen persönlichen Gegenstand. Kein Foto, kein Souvenir von Paris, nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass ausgerechnet ich, Helene Bernauer, in diesem Raum wohne. Ich war damals mit zwei Koffern nach Paris gefahren, um bei Leon zu leben, um ganz neu anzufangen. Alles hatte ich hinter mir gelassen. Und mit genau den beiden Koffern – samt Inhalt – war ich wieder zurückgekehrt.
Alles stand wieder auf Anfang für mich.
Ich ahnte, dass genau diese unpersönliche Umgebung mir dabei helfen würde, über Leon hinwegzukommen – gerade weil mich nichts an ihn erinnerte: kein Bild, kein Kleidungsstück, kein Brief, kein Schmuckstück. Jedes einzelne Geschenk, das ich je von ihm bekommen hatte, lag in dem großen Müllbeutel in unserem Pariser Hinterhof.
KAPITEL 9
Ich schlief ein paar Stunden und wachte früh auf – in meinem schicken, neuen Zimmer, wie ich entzückt feststellte, nachdem ich mal wieder eine winzige Zehntelsekunde lang keine Orientierung gehabt hatte. Der Vorhang vor der Terrassentür war nicht ganz zugezogen, und durch den Spalt starrte Schorsch mich an. Ich sprang auf und öffnete ihm die Tür. Er spazierte an mir vorbei und begann einen Inspektionsrundgang durch mein Zimmer. Jedes Möbelstück wurde beschnüffelt, dann sprang er auf
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