Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
wohnt.«
»Der Anorak ist auch wohl kaum zu übersehen.«
Das waren die ersten Worte meiner Mutter, als sie mich nach Monaten überraschend wiedersah. Alles wie immer.
Fräulein Behrens musterte mich in meinen alten, abgewetzten Jeans und meinem geliebten Anorak, der auf grünem Grund ein wildes, buntes Blumenmuster hatte, und schnarrte in gewohnter Liebenswürdigkeit: »Dass du so rumlaufen magst, Helene …«
Dann wandte sie sich meiner Mutter zu und sagte: »Ich will dann mal wieder, Waltraud.« Sie nickte mir zu und verließ, begleitet von einem Bimmeln, den Laden.
Meine Mutter stand noch immer wie erstarrt hinter der Theke, fixierte aber mittlerweile eine kleine Wasserlache auf dem Linoleum, an der mein tropfender Schirm schuld war. Schnell stellte ich den Übeltäter in den Schirmständer neben der Tür; vielleicht würde das ja den Bann brechen, der über meiner Mutter zu liegen schien.
Ich wandte mich ihr wieder zu, zog den Reißverschluss des Anoraks herunter und sagte: »Hallo, Mama.«
Durch sie ging ein kleiner Ruck, als würde sie aus einer Trance erwachen. Sie zwinkerte ein paar Mal und wisperte: »Mein Gott, Helene, hast du mich erschreckt. Stehst da auf der anderen Straßenseite und starrst in den Laden – wie in einem Gruselfilm.«
»Ja, Mama, ich freue mich auch, dich zu sehen.«
Ehe sie mir antworten konnte – falls sie das überhaupt wollte -, bimmelte hinter mir die Glocke der Ladentür, und eine Urlauberfamilie mit vier Kindern kam herein.
Sofort flog ein professionelles Lächeln ins Gesicht meiner Mutter, und sie sagte: »Geh doch schon mal nach hinten, Oma ist in der Küche und macht Mittagessen. Aber pass auf, dass sie vor Schreck keinen Schlaganfall kriegt.«
Ich ging hinter die Theke und durch die Tür, die in einen Flur führte, während meine Mutter schon mit den durcheinandergekrähten Wünschen der Kinder beschäftigt war. Links lag die Backstube, geradeaus die Hintertür zum Garten, rechts die riesige Wohnküche, in der bei Bedarf auch gearbeitet wurde.
Durch die angelehnte Küchentür drangen nicht nur Radiogedudel und Topfklappern, sondern auch betörender Essensduft nach … ich schnupperte genießerisch … nach Bohneneintopf, lecker!
Oma war mittlerweile ein wenig schwerhörig, und meine Mutter hatte mit ihrer Warnung nicht ganz Unrecht. Wenn Oma so versunken in einem Topf rührte und gleichzeitig das Radio lief, erschrak sie furchtbar, wenn plötzlich jemand neben ihr stand, den sie nicht gehört hatte.
Ich klopfte mit dem Fingerknöchel gegen die Tür, schob sie auf und rief laut: »Oma! Nicht erschrecken!«
Sie fuhr herum, drückte sich in einer exakten Imitation der Geste meiner Mutter die Hand auf den Busen und keuchte: »Mich trifft der Schlag. Du ahnst es nicht – Helene!«
Ihr Gesicht legte sich in tausend feine Lachfältchen, als sie mir strahlend und mit ausgebreiteten Armen entgegenkam. Sie umarmte mich und fragte: »Hast du deinen Vater schon begrüßt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ist er drüben?«
»Du kannst ihm sagen, dass es in einer Viertelstunde Essen gibt«, sagte Oma und ging zurück an den Herd. Ich war für diesen Moment entlassen.
Ich wusste natürlich, dass es völlig unnötig war, meinen Vater vom Fortgang der Essensvorbereitungen in Kenntnis zu setzen, denn es gab jeden Wochentag um exakt fünf Minuten nach eins ein warmes Mittagessen. Um eins schloss der Laden für eine zweistündige Mittagspause – außer während der Saison. Vom ersten Sommerferientag des ersten Bundeslandes bis zum letzten Ferientag des letzten Bundeslandes war die Bäckerei durchgehend geöffnet, aber so weit war es noch nicht.
Mein Vater würde also, auch wenn ich ihm nicht Bescheid sagte, ohnehin um Punkt fünf nach eins wie aus dem Boden gewachsen am Küchentisch sitzen, aber meine Oma wollte natürlich, dass mein Vater und ich ein paar Minuten für uns allein hatten.
Ich gab mir einen Ruck und stieß die Schwingtür zur Backstube auf.
Er stand am großen Arbeitstisch aus Metall und setzte konzentriert rosafarbene Marzipanröschen auf eine schneeweiße, zweistöckige Hochzeitstorte. Der Anblick der Torte versetzte mir einen kurzen Stich, aber ehe ich sentimental werden konnte, bemerkte mein Vater, dass jemand hereingekommen war, und sah hoch.
Sein Gesicht hellte sich kurz auf, dann verschloss es sich wieder, und er brummte: »Wo kommst du denn her?«
Im Zweifel aus Paris, hätte ich am liebsten gesagt, aber ich wollte keinen Zank. »Ich wohne bei
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