Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
meine Oma waren halb verdeckt durch den absurd großen Blumenstrauß, den jede von ihnen im Arm hielt.
Über dem Bild stand: 50 Jahre Konditorei Cäcilie Bernauer, und darunter: Im Mai 1959 eröffnete Cäcilie Bernauer (75, 2.v.l.) ihre Konditorei, die mittlerweile in zweiter Generation von ihrem Sohn Peter Bernauer (ganz links) und Gattin Waltraud (2. v. r.) geführt wird. Bürgermeister Lutz Schmidt (ganz rechts), Gatte der Bernauer-Tochter Susanne, gratuliert mit Blumen für die Damen.
Da standen sie und sahen mich an.
Mein Vater, in weißer Arbeitskleidung und mit weißem Käppi auf den grauen Stoppelhaaren, starrte mit grimmigem Gesicht in die Kamera. Ich wusste, dieses Jubiläum bedeutete ihm nichts, solange er nicht endlich so etwas wie Bäckerei Konditorei Peter Bernauer & Tochter über den Eingang schreiben konnte.
Neben ihm stand meine Oma Cäcilie, Matriarchin der Familie und Geschäftsgründerin. Sie lächelte stolz. Aus ihrem Mozartzopf, den sie immer trug, hatten sich ein paar dünne Strähnen gelöst, die im Wind zu tanzen schienen.
Dann meine strahlende Mutter, an deren Frisur sich kein Haar regte. Offensichtlich hatte sie sich zur Feier des Tages einen Friseurbesuch genehmigt, und der Haarkünstler ihres Vertrauens hatte ihr einen helmartigen Kopfputz geklöppelt, der verblüffend an die Frisur von Königin Beatrix erinnerte, fehlte nur noch das Diadem. Wie viele unschuldige Flaschen Haarspray hatten sterben müssen, um dieses Prachtstück wind- und wetterfest zu machen, wollte ich mir lieber nicht vorstellen.
Rechts außen grinste Majestix, mein Schwager. Er hatte mittlerweile ein beeindruckendes Doppelkinn, wie ich feststellte, auch sein Bauch war nicht ohne. Er liebte Cremetorte, Marie musste ihm jeden Nachmittag zwei Stück Torte aus unserer Bäckerei holen.
Ich zuckte zusammen.
Ich hatte unsere Bäckerei gedacht, unsere.
Und ich wusste: Wäre ich ebenfalls auf diesem Bild gewesen, Helene Bernauer, Enkelin von Cäcilie und Tochter von Waltraud und Peter, die dritte Generation – dann hätte auch mein Vater gelacht und würde jetzt nicht aussehen wie ein flüchtiger Schwerverbrecher auf einem Fahndungsfoto.
Von meiner Tasse, die noch immer in der Luft hing, fiel ein Tropfen Kaffee auf das Zeitungsfoto. Ich stellte sie hastig ab und drückte meinen Ärmel auf das Papier, um die braune Flüssigkeit aufzusaugen, bevor sie das Foto verunstalten konnte. Ich wusste plötzlich, was das erste persönliche Stück in meinem Zimmer werden und den ersten meiner vielen, leeren Bilderrahmen füllen würde.
Ich schob mein Frühstücksbrettchen so auf das Foto, dass Majestix verdeckt wurde, und nickte zufrieden. Ich konnte ihn problemlos wegschneiden. Das Motiv hatte dann zwar nicht mehr die vom Fotografen beabsichtigte Symmetrie, aber das war mir egal.
Zehn Minuten später hing das Foto – ohne Lutz! – gerahmt an der Wand. Ich hatte verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, und letztendlich hatte es seinen Platz rechts neben der Terrassentür gefunden.
Als ich das Bild betrachtete, packte mich unerwartet die Sehnsucht nach meiner Familie. Verdammt, ich war ein trauriges, kleines Mädchen und wollte, dass meine Familie mich tröstete!
Plötzlich konnte es mir gar nicht schnell genug gehen. Ich zog meinen bunten Anorak über, tastete nach dem Haustürschlüssel in meiner Hosentasche, schnappte mir aus dem Schirmständer einen Regenschirm und machte mich auf den Weg.
KAPITEL 11
Ich trat aus der Haustür, spannte den Schirm auf und atmete tief ein. Dann ging ich die Dorfstraße entlang.
Rechts von mir Häuschen wie das von Marie, umgeben von Obstbäumen und bunt blühenden Beeten. Links eine große, saftig grüne Weide, auf der eine Herde schwarz-weiß gefleckter Kühe stand. Der Blick ging weit über flaches, grünes Land, über angrenzende Wiesen mit weiteren Kühen und in der Ferne wie Spielzeughäuschen wirkende Bauernhöfe. Kein Autolärm, keine Abgase, kein permanentes Hupen – ich hörte nur den Regen, der leise auf meinen Schirm prasselte.
Von hinten wurde ich von einer Radfahrerin überholt. Obwohl sie schnell an mir vorbeisauste und Regenhaube und Cape aus Plastik trug, erkannte ich sie sofort: Fräulein Behrens, meine alte Lehrerin. Sie trat kräftig in die Pedalen und bog dann nach rechts in die Hauptstraße ab.
Ich folgte ihrem Weg und näherte mich dem Zentrum des Dorfes, unserer Shopping-Mall. Jetzt, im Mai, fuhr nur ab und zu ein Auto durchs Dorf, aber es war nur eine Frage
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