Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
Marie«, antwortete ich und ließ damit offen, ob ich nur für ein paar Tage hier war.
»So, so, bei Marie. Hat Susanne gar nicht erzählt.«
Interessant, dass mein Vater selbstverständlich von einer reibungslos funktionierenden Informationskette ausging: Marie arbeitete bei Lutz, und deshalb musste dieser ja wohl automatisch Bescheid wissen. Dass Lutz allerdings Maries Privatleben einen feuchten Kehricht anging, wurde als Überlegung offenbar nicht mit einbezogen. Lutz gab es dann abends vor dem Fernseher an seine Gattin – meine Schwester – weiter, und spätestens am nächsten Morgen hätte die Neuigkeit bei meinen Eltern landen müssen.
Eigentlich noch am gleichen Abend, denn schließlich gab es Telefone.
Und mein Vater schloss – zu Recht! – aus meiner Bemerkung bei Marie zu wohnen, dass ich womöglich schon einige Tage im Dorf war.
»Susanne weiß es nicht. Marie hat gerade Urlaub und … und es war alles ziemlich spontan, weißt du?«
Er hatte sich wieder über die Torte gebeugt und setzte jetzt gelbe Marzipanrosen in die Lücken, die er bei den rosafarbenen gelassen hatte. Mein Vater war ein begnadeter Konditor, aber seine Vorstellungen von Design waren mir zu konventionell. Hätte ich jemals gelbe und rosafarbene Rosen nebeneinander gesetzt, immer abwechselnd?
Höchstens, wenn die Torte knallorange wäre, und auch dann nur vielleicht. Und genau deshalb hatten wir uns in der Backstube immer gestritten wie die Besenbinder. Angesichts meiner Entwürfe zum Beispiel tannengrüner Hochzeitstorten mit einer Dekoration aus Eicheln und zartgrünen Farnblättern – alles essbar, natürlich – hatte er sich mit Grausen abgewandt und sich lautstark gefragt, was er als mein Lehrherr wohl falsch gemacht haben könnte und ob ich nicht vielleicht doch nach meiner Geburt im Krankenhaus mit einem anderen Kind vertauscht worden sei. Vielleicht mit einem Kind aus einer Zirkusfamilie, das würde auch zu meinen verrückten Vorstellungen in der Backstube passen, fand er.
»Ich erzähle gleich, warum ich hier bin, wenn wir alle zusammen am Tisch sitzen.«
Ein kurzes Zucken seiner Augenbrauen signalisierte mir, dass meine Ankündigung so etwas wie Neugier oder vielleicht sogar einen Anflug von Interesse bei ihm geweckt hatte, aber er sagte nichts, sondern fuhr mit seiner Arbeit fort.
Ich ging zurück in die Küche und half meiner Oma beim Tischdecken. Sie stellte mir keine Fragen, was mir sehr angenehm war.
Ich wollte es allen gleichzeitig sagen und es in einem Rutsch hinter mich bringen. Wieder einmal dankte ich mir innerlich dafür, dass ich zu Hause nie von meinen Hochzeitsplänen erzählt hatte.
KAPITEL 12
Um Punkt fünf nach eins erschienen meine Eltern in der Küche und setzten sich an den Tisch. Ich füllte unsere Teller aus dem Suppentopf, und Oma stellte einen Brotkorb auf den Tisch, der mit frischen Brötchen gefüllt war.
Nach einem gemurmelten »Mahlzeit« aßen wir schweigend, bis meine Oma es nicht mehr aushielt und herausplatzte: »Jetzt erzähl doch mal!«
Mein Herzschlag beschleunigte sich, und meine Handflächen wurden feucht. Es war eben doch nicht so einfach, wie ich mir vorgestellt hatte.
Alle starrten mich an, niemand aß mehr.
Ich räusperte mich, aber meine Stimme klang trotzdem belegt, als ich sagte: »Ich bin zurück.«
»Zurück«, wiederholte meine Mutter, »was heißt das denn jetzt?«
Während meine Eltern mich verständnislos anstierten, signalisierte mir das Mitleid in den Augen meiner Oma, dass sie sofort kapiert hatte, was in Paris vorgefallen war. Oder besser: dass in Paris etwas vorgefallen sein musste, das zu Leons und meiner Trennung geführt hat.
»Das heißt«, antwortete ich auf die Frage meiner Mutter, »dass Leon und ich uns getrennt haben und dass ich Paris verlassen habe, um wieder hier zu leben. – Vorerst!«, schob ich eilig hinterher.
»Und wo willst du wohnen?«, fragte meine Mutter, und sie klang in meinen Ohren ziemlich aggressiv. Vermutlich fürchtete sie, ihr geliebtes Nähzimmer – mein ehemaliges Zimmer – wieder an mich abtreten zu müssen.
»Ich bin bei Marie eingezogen, sie wohnt doch jetzt in Tante Almas Häuschen. Da ist Platz genug für uns beide.«
»Ich habe es von Anfang an gewusst«, sagte meine Mutter.
Im ersten Moment klickte es nicht bei mir. »Was hast du von Anfang an gewusst?«
»Dass dieser Mann nicht der Richtige für dich ist. Was willst du mit einem Künstler?«
»Dann musst du ja unglaublich froh sein, dass du recht
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