Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
dem Weidezaun und ließ die Beine baumeln. Als er uns sah, sprang er herunter und folgte unserem Auto in die Einfahrt.
»Wieso bist du denn heute schon hier?«, fragte ich ihn, nachdem wir uns mit einer Umarmung begrüßt hatten.
»In Berlin ist alles so weit vorbereitet. Ich habe alles mitgebracht, um hier vor Ort arbeiten zu können.« Er streckte die Arme aus, reckte sich ausgiebig und atmete tief durch. »Ich mag es hier, wisst ihr? Die Landschaft, die Luft … es ist so schön ruhig hier. Ich will mal ein bisschen übers Land fahren und mich umsehen. Schade, dass ihr keine Zeit habt.«
Ja, wirklich ausgesprochen schade, dass Marie und ich keine Zeit hatten, weil wir so etwas Profanes tun mussten wie arbeiten. Und weil meine Oma gestorben war. Und weil mein Vater mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus lag.
Ich fing prompt an zu weinen.
»Helene!«, rief Patrick bestürzt und machte wieder Anstalten, mich zu umarmen, aber ich trat einen Schritt zurück. Dann stürmte ich ins Haus.
Ein paar Minuten später kam Marie in mein Zimmer und setzte sich zu mir auf die Bettkante.
»Soll ich ihn wegschicken?«
Ich seufzte. »Nein. Gib mir ein paar Minuten, dann komme ich raus. Wo ist er?«
»Auf der Terrasse. Ganz bedröppelt, weil er glaubt, an deinen Tränen schuld zu sein.«
»Ist das nicht wieder typisch Mann? Denkt, die Welt dreht sich nur um ihn.«
Marie kicherte. »Sei nicht ungerecht. Er schwärmt uns vor, wie dufte das alles hier ist und dass er ein bisschen entspannt durch die Gegend gondeln will – und weiß genau, dass du vor Stress nicht aus den Augen gucken kannst. Das war schon ein bisschen unsensibel, und das weiß er auch. Immerhin, er weiß es. Und ist somit für einen Mann durchaus untypisch.«
»Das nenne ich mal eine schlüssige Indizienkette, Euer Ehren«, sagte ich und setzte mich auf.
»Na also.« Marie tätschelte meine Hand. »Und jetzt putzt du dir die Nase und kommst raus zu uns, ja?«
Patrick sah mich verlegen an, als ich mich zu ihnen setzte.
»Helene, ich …«
Ich hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. »Nicht entschuldigen. Bitte. Ich bin einfach ziemlich dünnhäutig im Moment.«
Er war verunsichert, das war ihm anzumerken. »Ich kann mir vorstellen, dass die letzten Tage für dich der reine Horror waren, seit …« Er brach ab und guckte erschrocken aus der Wäsche.
»Seit Oma gestorben ist«, vervollständigte ich ruhig seinen Satz. »Ja. Der Horror. Vor allem, weil du nur reagieren kannst. Dies muss sofort passieren, jenes muss sofort passieren. Der Laden muss geöffnet bleiben. Und du willst eigentlich nur deine Ruhe und um den Menschen trauern, der nicht mehr da ist, ganz plötzlich.«
»Du warst dabei, nicht wahr?«
Ich nickte und verzog mein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Und nicht nur das: Ich war aktiver Teil der letzten Show, die sie zu Lebzeiten gesehen hat: eines lautstarken Streits zwischen drei hysterischen Weibern, den sie zu schlichten versuchte. Aber uns hat das nicht gekümmert, weißt du? Wir haben gekeift und gezetert wie Fischweiber. Und dann war sie plötzlich tot. Zack, von einer Sekunde zu anderen.«
Marie kam mit einem Tablett und stellte es auf dem Tisch ab.
»Bitte sehr, Kaffee und Kuchen.«
»Warum denn nur für zwei? Was hast du denn vor?«
»Ich gehe an den Computer«, sagte Marie, »ich mache doch seit ein paar Tagen so einen Online-Nähkurs.«
Stimmt, sie hatte erwähnt, die alte Nähmaschine ihrer Tante ausprobieren zu wollen.
»Interessierst du dich für Modedesign?«, fragte Patrick.
Marie winkte lachend ab. »Nie im Leben. Aber ich möchte lernen, wie man ein Schnittmuster in ein Kleid verwandelt.«
»Ich könnte dir sogar zeigen, wie man ein gekauftes Lieblingskleid in ein Schnittmuster verwandelt, damit du es immer wieder nachnähen kannst.«
»Darauf werde ich ganz sicher zurückkommen«, versprach sie ihm, »aber jetzt lerne ich erst einmal alles über die geheimnisvolle Wissenschaft des Maßnehmens. Helene, stell dich darauf ein, dass ich das später an dir ausprobieren werde.«
Sie verschwand im Haus, und ich goss uns Kaffee ein, während Patrick sich ein Stück Kuchen auftat. Ich nahm mir ein Petit Four und knabberte daran herum.
»Deine Oma«, sagte Patrick plötzlich, »war sie die Mutter deines Vaters oder deiner Mutter?«
»Von Paps. Sie hat die Konditorei aufgebaut. Vor ein paar Wochen erst hatten wir fünfzigjähriges Jubiläum.« Ich seufzte. »Sie hat sich so für mich gefreut, als dein Auftrag
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