Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
mitgespielt wurde und den ich dennoch für einen Mörder hielt! Dabei war es in Wirklichkeit sein Mitarbeiter. Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass ich mit diesem brutalen Kerl Seite an Seite in der Fischküche gestanden habe?«
»Also gut. Morgen noch einmal«, sagte sie.
Und zum zweiten Mal an diesem Tag sah sie Wolf Andresen lächeln.
Es tat gut, ihn lächeln zu sehen. An der Ladentür, die Klinke schon in der Hand, blickte sie noch einmal zurück. Vielleicht lächelte Wolf Andresen immer noch? Nein, er war wieder damit beschäftigt, alles in Reih und Glied zu rücken, was längst in Reih und Glied war.
Wenige Augenblicke später schepperte die Ladenglocke erneut, so laut wie sonst nie, die Tür fiel klirrend wieder zu, und die Hummerattrappe machte zwei erschrockene Hüpfer.
»Was vergessen?« Andresen blickte Mamma Carlotta fragend an.
Sah er an ihr vorbei? Durchs Schaufenster auf die Straße? Sah er den Wagen, der dort parkte? Die beiden Polizeibeamten, die ausstiegen? Mamma Carlotta sah sich vorsichtig um. Gott sei Dank hielten sie nicht auf die Tür von Fisch-Andresen zu, sondern auf die des Nachbarhauses.
»Was vergessen?«, wiederholte Andresen.
»Ja, den Fisch fürs Mittagessen. Ich wollte noch zwei Dorschfilets mitnehmen.«
Als Carlotta Capella fünf Minuten später einen zweiten Versuch machte, den Laden zu verlassen, stand Eriks Wagen immer noch da. Hastig schloss sie das Fahrrad auf, stieg in die Pedalen und fuhr schon los, ehe sie auf dem Sattel saß. Mit tief gesenktem Kopf preschte sie an der Pension Störtebeker vorbei. Beinahe wäre sie gegen ein parkendes Auto geprallt, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand. Doch zum Glück fing sie sich rechtzeitig wieder, sodass sie die Karosserie des Lieferwagens nur streifte. Und das war nicht weiter schlimm. Denn der war sowieso arg zerbeult, der rechte Kotflügel fehlte sogar gänzlich. Erst, als Mamma Carlotta in die Trift einbog, fragte sie sich, was Tove hier eigentlich zu suchen hatte.
Jens Gühlich erhob sich und nahm die rote Schirmmütze vom Haken. »Ja, die trage ich meistens.« Er hielt sie Erik hin, als sei es eine besonders schöne Mütze, die bewundert werden sollte. Es war aber nur ein billiges Ding mit der Aufschrift Coca-Cola, das Erik ungern in die Hand nahm, weil man ihm ansah, dass es schon lange nicht gewaschen worden war.
Gühlich blieb stehen und sah auf Erik hinab. »Was ist mit meiner Mütze?«
Erik reichte sie ihm, ohne zu antworten. Er versuchte, einen Blick aus Jens Gühlichs grauen Augen aufzufangen, aber es war unmöglich. Gühlich schien unfähig zu sein, einem anderen in die Augen zu sehen. Sein Blick irrte über das Gesicht seines Gegenübers und war ständig auf der Flucht.
Tove dagegen stand da, an die Fensterbank gelehnt, und starrte Erik unverwandt an. Er hatte zornig auf sein Erscheinen reagiert und was von »Einmal Mörder, immer Mörder!« gefaselt. Aber dann hatte er die Hände vor der Brust verschränkt und geschwiegen.
»Sie sind in der Braderuper Heide gesehen worden«, sagte Erik. »Am Donnerstagabend.«
»Ist das verboten?« Jens Gühlich war anfangs ängstlich und unfreundlich gewesen, jetzt versuchte er es mit Aggression. Er wollte den Eindruck erwecken, dass mit ihm nicht zu spaßen sei.
»Es stimmt also. Sie waren in der Braderuper Heide.«
»Ja, ich bin dort spazieren gegangen. Ist ja ganz nett da.«
Erik wandte sich an Tove. »Und Sie? Haben Sie sich mit Herrn Gühlich dort getroffen? Und fragen Sie mich jetzt bitte nicht, ob das verboten ist.«
Tove grinste. »Ja, ich habe mich dort mit meinem Schwager getroffen.«
»Warum gerade dort?«
»Weil es in Braderup schön ist. Wir wollten in der Heide zusammen spazieren gehen.«
Erik wandte sich wieder an Jens Gühlich: »Warum sind Sie nach Sylt gekommen?«
Gühlich zuckte die Achseln. »Dies ist der einzige Ort, wo es Menschen gibt, die sich an mich erinnern können. Nicht nur an das, was mich in den Knast gebracht hat, sondern auch an das, was vorher war.«
»Freundschaft? Verwandtschaftliche Gefühle?«
»Genau!« Gühlich warf Tove einen Blick zu. »Hier wohnt mein Schwager. Er wollte zwar jahrelang nichts von mir wissen, aber als ich an seiner Theke stand, hat er mir ein Bier spendiert.«
Sören mischte sich ein und wandte sich an Tove: »Sie haben Ihrem Schwager verziehen? Immerhin ging es um Ihre Schwester.«
»Meine Schwester war ein Flittchen«, gab Tove zurück. »Das musste ja mal so kommen. Und ich
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