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Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Titel: Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Mendes Ergreifung und an eine Sturmflut, und das womöglich alles gleichzeitig. Während er blind die Treppe hinuntertapste und sich zum Telefon vortastete, kam eine weitere Befürchtung hinzu: Björn Mende hatte sich eine Waffe besorgt, auf einen Kollegen geschossen und diesen schwer verletzt oder sogar …
    Zum Glück war er an diesem entsetzlichen Punkt am Telefon angekommen. Noch ehe er ausprobieren konnte, ob seine Stimme zu dieser Tageszeit überhaupt funktionierte, wurde ihm die Frage: »Bist du es, Carlotta?« entgegengejubelt.
    Erik gab sich keinerlei Mühe, ein fröhliches »Guten Morgen« herauszubringen. Im Grunde kannte er Isabella nicht einmal besonders gut. Jedenfalls nicht gut genug, um ihr nachzusehen, dass sie ihn um halb sechs aus dem Bett holte. Er hatte sie bei einer seiner seltenen Reisen nach Umbrien besucht, weil Lucia es so wollte, und hatte ihren Kuchen gelobt, der so süß gewesen war, dass er sein Sodbrennen erst nach zwei Gläsern Grappa in den Griff bekommen hatte. Auf keinen Fall konnte es zu seinen familiären Pflichten gehören, Isabella zu dieser Zeit freundlich zu begrüßen.
    »Hast du schon mal auf die Uhr gesehen?«, knurrte Erik in seinem Sprachkursitalienisch. »Carlotta liegt noch im Tiefschlaf. Ich übrigens vor ein paar Minuten auch noch.«
    »Geh und weck Carlotta«, kam es ungerührt zurück. »Sie wird dir nie verzeihen, wenn sie die Neuigkeit nicht als Erste erfährt.«
    Erik mochte das zwar nicht glauben, hatte es aber aufgrund von vielen befremdlichen Erfahrungen längst aufgegeben, sich über die Prioritäten bei den weiblichen Mitgliedern der Familie Capella zu wundern. Er stieg die Treppe hoch, um seine Schwiegermutter zu wecken, und hoffte, dass Isabellas Mann schon wach war, damit er ein wachsames Auge auf die Länge dieses Auslandsgesprächs haben konnte.
    Ein weiteres Mysterium der weiblichen Capellas war, dass sie ahnten, wenn eine von ihnen etwas Sensationelles zu verkünden hatte. Daher stand Mamma Carlotta schon in der Tür, als Erik in der ersten Etage angekommen war.
    »Isabella ist am Apparat? Dann muss etwas aus der Liebe zwischen ihrer Tochter und dem jungen Fernsehschauspieler geworden sein. Wenn Isabella um diese Zeit anruft, muss es mindestens um eine Verlobung gehen. Wenn nicht sogar um eine Hochzeit …«
    Als sie endlich das Telefon in der Hand hielt, begrüßte sie mit einem Schwall italienischer Worte ihre Cousine. Sie hörten sich nicht so an, als wäre darunter auch nur ein einziges des Vorwurfs.
    Erik überlegte. Ob er statt zurück ins Bett unter die Dusche gehen sollte? Dies wäre eine einzigartige Gelegenheit, schon gegen sieben am Schreibtisch zu sitzen und alles aufzuarbeiten, was seit Christa Kerns Ermordung liegen geblieben war. Erik gähnte herzhaft und lauschte auf die rhythmisch hervorgestoßenen »Sì!«, »No!« und »Davvero?« seiner Schwiegermutter. Die beiden Mordfälle waren gelöst, es galt nur noch, den flüchtigen Täter zu fassen. Er hatte also einen ruhigen Arbeitstag vor sich. Björn Mendes Ergreifung war nicht seine Aufgabe, sondern die der Kollegen, die zurzeit die Insel durchkämmten. Sie würden ihn bald finden, ganz sicher. Wo sollte er schon hin? Eine Flucht von der Insel kam nicht in Frage. Die Fähre war ja wegen des Sturms nicht gefahren, und keines der Fischerboote …
    »Der Sturm!« Erik horchte, dann lief er die Treppe hinab ins Wohnzimmer. Auch der Sturm hatte die Flucht ergriffen. Unbemerkt hatte er sich davongemacht, wütete jetzt woanders oder war eingeschlafen. Die paar abgerissenen Zweige und Äste! Die wenigen Dachpfannen, Gartenstühle und Plastikeimer! Niemand war zu Schaden gekommen, niemand obdachlos geworden. Ein jugendlicher, übermütiger Sturm, der ein bisschen Unordnung angerichtet hatte und nun so tun wollte, als hätte es ihn gar nicht gegeben.
    Erik atmete auf. Also würde er nicht zurück ins Bett, aber auch nicht zum Dienst, sondern in den Garten gehen, um die abgerissenen Äste zusammenzukehren.
    Mamma Carlotta hatte gerade ihr Gespräch beendet, als er in die Diele kam. Ihre leuchtenden Augen ließen Schreckliches vermuten. Um sich eine Gnadenfrist zu verschaffen, die sich, wenn er Glück hatte, bis zum Frühstück ausdehnen ließ, nahm er seiner Schwiegermutter das Telefon mit dienstlicher Miene aus der Hand und bedeutete ihr, dass jetzt keine Zeit für Familientratsch sei. Und da Mamma Carlotta zum Glück Hochachtung vor seinem Beruf hatte, konnte er damit rechnen, dass sie seine

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