Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
wusste sie genau. Nach der Vorwahl, an die sie sich noch erinnerte, kamen zunächst Dinos Geburtstag – 29.5. –, dann Lucias Geburtstag – 27.4. – und zum Schluss …? Richtig, die Anzahl ihrer Kinder: 7.
Mit einem Ohr lauschte sie auf das Tuten im Hörer, mit dem anderen auf Andresens Stimme, der sich gerade mit einem Kunden über die Größe eines Matjesbrötchens stritt. Aber der Ruf ging ins Leere, immer wieder. »Enrico, nimm endlich ab!«, murmelte sie. Andresens Stimme wurde unnachsichtiger, es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Kunde verärgert den Laden verließ …
Erik warf wütend den Hörer auf die Gabel und begann zu fluchen. Sören, der gerade das Zimmer betrat, sah aus, als wollte er auf dem Absatz wieder kehrtmachen. Wenn sein Chef schlechter Laune war, hielt man sich am besten nicht in seiner Nähe auf.
»Wo ist mein Handy?«, brüllte Erik und verlangte von Sören, es auf der Stelle dorthin zu legen, wo es zu sein hatte: auf seinem Schreibtisch neben seinen Rauchutensilien.
»Ich habe Ihr Handy nicht«, stotterte Sören.
»Habe ich es etwa zu Hause liegen lassen?«
Sören hielt es für möglich, sogar für ziemlich wahrscheinlich, hätte aber niemals gewagt, diese Vermutung laut zu äußern.
Der arme Sören musste sich anhören, wie schrecklich unzuverlässig die Kollegen arbeiteten, die Björn Mende zu suchen und vor allem zu finden hatten, und wie unverschämt es sei, dass man es nicht einmal für nötig gehalten habe, den Hauptkommissar zu verständigen, als ein Zeuge Björn Mende in Westerland gesehen habe. »Also ist er tatsächlich noch auf der Insel!«
Sören war so unvorsichtig einzuwenden, dass dieser Zeuge sich auch geirrt haben könne. Daraufhin beschloss Erik, seinen Assistenten zur Strafe mit den Mordfällen und dem flüchtigen Täter allein zu lassen. »Sehen Sie zu, wie Sie klarkommen, ich fahre jetzt nach Haus und suche mein Handy.«
Aufatmend sah Sören seinem Chef nach und hoffte darauf, dass er mit seinem Handy auch wieder einen Teil seiner Gelassenheit wiederfinden würde.
Dass sein Haus still und verlassen dalag, hob Eriks Laune kein bisschen. Ich möchte wirklich mal wissen, wo Mamma Carlotta sich ständig herumtreibt, dachte er.
Sein suchender Blick wanderte durch die Küche, wo sich unzählige Verstecke für ein Handy boten: zwischen dem schmutzigen Frühstücksgeschirr, unter dem achtlos hingeworfenen Geschirrtuch, inmitten diverser Plastiktüten und Einwickelpapiere. Im Wohnzimmer verband sich seine schlechte Laune umgehend mit der freudigen Erkenntnis, dass seine vier grünen Kissen genau dort standen, wo er sie gern hatte. Der Anblick des aufgeschlagenen Fotoalbums konnte ihm daraufhin nichts mehr anhaben. Erst recht nicht, als er das Handy direkt daneben entdeckte. »Meinetwegen sollen die drei in den Erinnerungen schwelgen, solange sie wollen«, brummte er.
Das Display des Handys zeigte an, dass es in seiner Abwesenheit einen Anruf gegeben hatte. Vielleicht der Leiter der Bereitschaftspolizei, der endlich einen Erfolg melden konnte? Erik drückte die Rückruftaste und wartete gespannt auf den, der sich am andere Ende melden würde.
»Andresen!«
Erik war erstaunt. »Sie wollten mich sprechen?«
Andresens Erstaunen war nicht geringer. »Nein, wie kommen Sie darauf?«
»Sie haben versucht, mich anzurufen. Auf meinem Handy.«
»Sie müssen sich irren. Ich kenne Ihre Handynummer gar nicht.«
»Aha. Nun … dann handelt es sich wohl um einen Irrtum.«
»So wird es sein. Auf Wiederhören, Herr Hauptkommissar.«
»Auf Wiederhören, Herr Andresen.«
Warum hatte jemand in Andresens Laden seine Handynummer gewählt? Und vor allem, wer? Und wieso wusste Andresen nichts davon?
Geistesabwesend starrte Erik auf ein Foto in dem aufgeschlagenen Familienalbum. Die alte Dame auf dem Bild vermochte er nicht zu identifizieren, sicherlich war sie eine entfernte Verwandte von Lucia, vermutlich längst verstorben. Neben dem Foto hatte Lucia einen Namen notiert, der ihm bekannt vorkam.
»Anna Rocchi!«
Erik starrte das Foto an. Es zeigte offenbar die italienische Aushilfskraft, die bei Fisch-Andresen italienische Vorspeisen herstellte!
Mamma Carlotta stand da wie erstarrt. Was sollte sie antworten, wenn Andresen sie fragte, ob sie das Telefon benutzt hatte? Und was, wenn er wissen wollte, warum sie Hauptkommissar Erik Wolf angerufen hatte? Noch dazu auf seinem Handy, dessen Nummer nur Eingeweihten bekannt war! Wie, um Himmels willen, sollte sie das
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