Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
werden musste. Wolf Andresen sollte zwar wissen, dass er den Speicheltest ablehnen konnte, musste aber gleichzeitig spüren, dass er sich mit einer Weigerung mehr schaden als nutzen würde.
» DNA -Analyse?«, fragte er und schob die Schüsseln mit den Marinaden so lange hin und her, bis sich ihre geschwungenen Ränder perfekt ineinander fügten. »Und warum?«
»Reine Routine«, entgegnete Erik. »Wir haben Sperma gefunden und bitten nun alle Männer, die mit Christa Kern in irgendeiner Weise Kontakt hatten, um eine Speichelprobe und um Fingerabdrücke.«
»Um den Mörder zu finden?«
»Um die Unschuldigen sicher ausschließen zu können«, korrigierte Erik freundlich.
Zu seiner Erleichterung nickte Andresen und band sich die Schürze ab. Während er sie an einen Haken hängte und säuberlich glatt strich, rief er in den Raum hinter der Theke, wo sein Warenangebot vorbereitet wurde: »Kommst du bitte in den Laden, Björn? Ich muss mal kurz weg.«
Der Auslieferer erschien prompt in der Tür. »Um elf habe ich aber eine Lieferung.«
Andresen sah Erik fragend an. »Wird es so lange dauern?«
»Nein, nein«, wehrte Erik ab. »Bis dahin sind Sie längst wieder zurück.«
»Also gut.« Andresen wandte sich noch einmal an seinen Mitarbeiter. »Ulla kann zurzeit nicht im Laden arbeiten. Saskia geht es heute nicht gut. Aber du wirst das schon machen.«
»Na, klar. Ist sowieso nichts los.«
Erik konnte den Blick nicht von der Schürze nehmen, die Andresen an den Haken gehängt hatte. »Sie tragen immer Gummihandschuhe bei Ihrer Arbeit?«
»Natürlich. Das erwarten die Kunden von mir.«
»Und wenn Sie Ihre Ware ausliefern?«
»Dann natürlich auch.« Wolf Andresen betrachtete den Hauptkommissar ärgerlich. »Warum stellen Sie mir diese Fragen?«
»Nur so.« Erik lächelte. »Eine Berufskrankheit. Ich frage auch nach Umständen, die gar keine Bedeutung haben.«
Carlotta Capella war mit ihren Fahrkünsten sehr zufrieden. Kerzengerade saß sie auf dem Sattel, den Kragen bis zur Nasenspitze hochgezogen, das Gesicht dem Wind entgegengestreckt. Carolin hatte ihr am Morgen die Route beschrieben, so ausführlich und umständlich, dass Mamma Carlotta schon befürchtete, sich mit der Fahrt nach Westerland zu viel vorgenommen zu haben. Aber dann hatte zum Glück Felix eingegriffen und kurz und bündig erklärt: »Nimm den Weg oberhalb des Strandes und fahr immer geradeaus, Nonna! Dann kann nichts schiefgehen.«
Und so hielt sie es nun. Natürlich, nachdem sie einen kurzen Abstecher zum Friedhof gemacht hatte. Fröhlich trat sie in die Pedalen, der Wind, der vom Meer kam und ihr gelegentlich in den Lenker griff, konnte ihr nichts anhaben. Mamma Carlotta hatte längst Frieden mit dem Wind geschlossen und wusste, dass sie ihn in Umbrien sogar heimlich vermissen würde, wenn dort die Hitze in den Tälern stand und sich kein Lüftchen regte, um sie zu vertreiben oder auch nur erträglicher zu machen. Der Wind war auf Sylt zu Hause, das hatte Mamma Carlotta verstanden, nach Umbrien kam er nur zu Besuch.
Das Meer zog sie an, diese graue Masse, die sich gelegentlich zwischen den Dünenbergen zeigte.
»Il mare«, flüsterte sie und klingelte einen erschrockenen Patienten der Nordseeklinik vom Weg, der seine Kräfte mit einem ersten Spaziergang wiederzufinden suchte. Das große Meer! Tage-, wochen- und monatelang würde sie in Umbrien davon erzählen und nichts gelten lassen, was die entgegenhielten, die schon mal an der italienischen Adria gewesen waren.
Auf der rechten Seite tat sich ein Parkplatz auf. Vergessen sah er aus, wie ein Kinderspielzeug in den Dünen. Ein Parkplatz für die Hochsaison, wenn die Feriengäste, die in einer preiswerten Pension im Inneren der Insel wohnten, mit ihren Autos zum Strand fuhren.
Mamma Carlotta schob ihr Fahrrad über den Parkplatz, ließ es am Ende stehen und stieg die Holztreppe zum Café Seenot empor, das auf dem Kamm der Düne stand. Dort harrte sie eine Weile aus und genoss das Gefühl der Freiheit, das sie in Umbrien nie kennen gelernt hatte, weil es dort diese Weite nicht gab. Vor ihren Augen nichts als das Meer, das dem Blick kein Ende bot! Es trug sein Sonntagskleid an diesem Tag. Schneeweiß die Gischt auf den Kämmen der Wogen und blaugrün ihre Täler!
Die Angst vor dem Meer, die Mamma Carlotta am ersten Tag bedrängt hatte, war vergangen, als sie erkannte, dass es nicht unberechenbar war, sondern einer Ordnung folgte, die, wenn man sie erkannt hatte, die Beklemmung nahm. Bald
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