Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
empfindlich kalt geworden war. Der Wind hatte aufgefrischt, er fuhr den Süder Wung entlang und brachte einen eiskalten Nieselregen mit nadelfeinen Tropfen mit.
»Glauben Sie wirklich«, flüsterte Sören, »dass der Mörder nichts mit dem DNA -Material in Christa Kerns Mund zu tun haben muss?«
»Nein, glaube ich nicht«, flüsterte Erik zurück. »Natürlich spricht alles dafür, dass Christa Kern oral vergewaltigt wurde, ehe man sie erdrosselte. Aber meine Schwiegermutter muss das nicht wissen.«
»Verstehe.« Sören ging zwei Stufen hinab, blieb stehen und sah sich wieder um. »Was ist, wenn Andresen sich gegen den DNA -Test wehrt?«
»Dann müssen wir einen richterlichen Beschluss erwirken.«
»Und dann? Sollen wir ihn in Untersuchungshaft nehmen? Wenn er es war, weiß er, dass er entlarvt ist, sobald der DNA -Test ausgewertet worden ist.«
Erik zuckte die Schultern. »Ich fürchte, wir haben schlechte Karten, Sören. Wenn Andresen sich wehrt, sehen wir alt aus. Ob die Staatsanwältin aufgrund der dürftigen Indizien, die wir vorlegen können, die DNA -Analyse anordnet, ist fraglich. Einen Haftbefehl werden wir sicherlich auch nicht bekommen.«
Sören nickte und stieg die beiden letzten Stufen hinab. Wieder drehte er sich um. »Warten wir also erst mal ab, wie Andresen morgen früh reagiert. Vielleicht schaffen wir es ja, ihn zu überrumpeln.«
Erik sah zu, wie Sören den Kragen hochschlug, ehe er den Kampf mit seinem Fahrradschloss aufnahm. »Haben Sie schon mal daran gedacht, Sören, dass es schwer sein wird, der Staatsanwältin Andresens Motiv vorzulegen? Wir kennen es nur von meiner Schwiegermutter. Ihr hat Ulla Andresen von der Operation in den USA erzählt, mir gegenüber hat sie bestritten, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt.«
Sören ließ sein Fahrradschloss in Ruhe, das sich mit einem zufriedenen Klicken an den Rahmen zurückfallen ließ. »Und wenn wir Ihre Schwiegermutter als Zeugin benennen? Nur für den Fall …«
»Kommt nicht in Frage!«
Sören nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Die Presse konnte ich übrigens abwimmeln. Ein paar Einzelheiten über die Tote habe ich preisgegeben, über unsere Ermittlungsarbeit habe ich jedoch nichts verraten.«
»Gut so«, nickte Erik. »Hoffentlich können wir uns die Meute noch eine Weile vom Hals halten. Und die Staatsanwältin und den Polizeipräsidenten ebenso. Zum Glück legt die Staatsanwältin zurzeit keinen Wert auf eine Pressekonferenz. In Husum gibt es doch diesen Fall von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie, der immer größere Kreise zieht. Damit ist sie sehr beschäftigt. Und der Polizeipräsident gibt auch lieber Auskünfte, wenn die Ermittlungsarbeit schon zu ansehnlichen Ergebnissen geführt hat.«
Sören grinste. »Hoffen wir also, dass wir schnell vorankommen. Wenn der Fall erst gelöst ist, lässt sich mit der Presse gut auskommen.«
»Und mit der Staatsanwältin und dem Polizeipräsidenten auch.« Erik zog sich in den Schutz der Haustür zurück, bis Sören den Sieg über sein Fahrradschloss errungen hatte und sich auf den Sattel schwang. Dann drückte er die Tür ins Schloss und war froh über die Wärme, die ihn umfing.
11
Mord kurz vor der Aufklärung? Die Polizei hüllt sich in Schweigen! Unsere Reporter haben mehrfach im Kommissariat Westerland vorgesprochen – vergeblich. Hauptkommissar Wolf verweigert jede Information. Warum? Schweigt er, um eine heiße Spur nicht zu gefährden? Oder schweigt er, um die Unfähigkeit der Kriminalpolizei zu bemänteln?
Wolf Andresen sah aus wie ein Teil seines Warenangebots, als Erik und Sören sein Geschäft betraten. Seine Miene wurde stoisch, seine Augen blickten ausdruckslos, seine Manieren wurden aalglatt.
»Sie wünschen?«
Seine Freundlichkeit war keinen Deut spritziger als die seiner Bismarck-Heringe und der Inhalt seiner Gedanken so unklar wie der seiner Labskaus-Konserven. Lediglich seine Hände sprachen eine deutliche Sprache. Wolf Andresen schob sein Bestellbuch in den rechten Winkel des Schreibpultes und zupfte die Plastikhandschuhe, die in seiner Schürze steckten, zurecht, sodass ihre fünf Finger jeweils im gleichen Winkel aus jeder Schürzentasche ragten. Mit der Freundlichkeit eines hungrigen Tigerhais wiederholte er: »Sie wünschen?«
Erik hatte sich genau überlegt, wie er vorgehen würde. Unverbindlich wollte er seine Frage stellen, freundlich seine Bitte vortragen, aber auch so energisch, dass sie wie eine klare Forderung verstanden
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