Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
zu überlegen. »Groß, schlank, mit einem hageren Gesicht. Er trägt immer eine rote Schirmmütze.« Sie rutschte von ihrem Hocker und legte das Geld für ihren Rotwein auf die Theke. »Sie sagen Fietje Bescheid?«
»Mach ich«, nickte Tove und erwiderte Mamma Carlottas Abschiedsgruß nicht. Das fiel ihr aber erst auf, als sie schon wieder auf dem Fahrrad saß.
15
Erik verlor kein Wort mehr über Sörens unbefugtes Eindringen in Björn Mendes Wohnung. Nachdem er Ulla Andresens in Silber gerahmtes Foto lange genug betrachtet hatte, beschloss er: »Wir suchen weiter. Wenn wir was finden, besorge ich uns den Durchsuchungsbeschluss nachträglich.«
Er zögerte, und Sören ergänzte an seiner Stelle: »Und wenn wir nichts finden, sorgen wir dafür, dass niemand was merkt. Auch Björn Mende nicht.«
Sie nahmen also den Inhalt der Schränke sehr vorsichtig in Augenschein. So kamen sie zwar langsam voran, aber da die Wohnung klein war, ließ ihre Zuversicht keinen Augenblick nach.
Endlich entdeckte Erik in einer Kommode des Wohnzimmers ein paar Schubladen, in denen Björn Mende Persönliches aufbewahrte: Bilder seiner Mutter, ältere Fotos, vermutlich von Verwandten, ein altes Ehepaar tauchte häufig auf, wahrscheinlich seine Großeltern.
»Nicht viel«, meinte Sören, »wenn man bedenkt, dass er aus einer Villa ausgezogen ist.«
»Er hat wirklich kaum etwas mitgenommen«, nickte Erik. »Vielleicht, weil man ihm nicht mehr zugestanden hat?«
»Oder weil er nichts mitnehmen wollte, was ihn an sein Leben in dieser Villa erinnerte.« Sören blickte seinen Chef nachdenklich an. »Als der Vater starb, blieb Björn Mende mit seiner Stiefmutter zurück. Er muss damals ein Junge von vierzehn oder fünfzehn Jahren gewesen sein.«
»Und da wir wissen, wie garstig seine Stiefmutter war, ist es möglich, dass er nicht besonders glücklich mit ihr war.«
Sören nickte. »Es gibt kein Foto von Christa Kern. Nichts, was an sie erinnert.«
»Auch kein Foto von seinem Vater.«
»Doch, auf dem Hochzeitsbild seiner Eltern ist der Vater zu sehen.« Sören hielt ein Foto mit einem Paar hoch, das an einem romantischen Teich stand und sich glücklich anlächelte. Der Mann im Frack, die Frau in einem rüschenbesetzten weißen Brautkleid. »Und dann noch dieses Foto …« Er reichte Erik ein Bild, das nur noch zur Hälfte bestand. »Das könnte auch ein Hochzeitsfoto seines Vaters gewesen sein. Er trägt ebenfalls einen Frack. Ungefähr zehn Jahre später, würde ich tippen.«
»Aber die Braut wurde abgeschnitten.«
Sören grinste. »Lässt auf ein gestörtes Verhältnis zur Stiefmutter schließen.«
»So gestört, dass er sie umgebracht hat?«
Sören wollte gerade zu einem Fotoalbum greifen, zog aber die Hand wieder zurück. »Ein gestörtes Verhältnis allein ist kein Motiv. Und dann nach so vielen Jahren. Warum?«
Erik öffnete den nächsten Schrank. »Lassen Sie uns weitersuchen.« Er blätterte alte Zeugnisse, Studienbescheinigungen und abgelehnte Bewerbungen durch. »Nichts, was uns weiterhilft.«
Aber dann pfiff Sören durch die Zähne. »Mende war in psychiatrischer Behandlung. Er ist monatelang einmal wöchentlich nach Flensburg zum Treffen einer Therapiegruppe gefahren.«
»Der Besuch bei einem Psychiater macht einen Menschen noch nicht verdächtig«, sagte Erik und betrachtete Björn Mendes Freischwimmerzeugnis.
Aber dann fuhr er erschrocken auf. Denn Sören ließ sich geräuschvoll in seinen Sessel fallen. Im ersten Moment alarmierte Erik nur die Angst, der Sessel könnte der groben Behandlung nicht gewachsen sein, aber im zweiten begriff er, dass sein Assistent etwas Bedeutsames gefunden hatte.
»Den kennen wir doch!«, stieß Sören hervor. »Sehen Sie mal!« Er hielt Erik die Jahreskarte eines Hallenbades hin, die mit einem kleinen, aber scharfen Foto versehen war.
Erik starrte es lange an, dann erkannte er ihn auch. »Der Auslieferer von Fisch-Andresen! Das ist Björn Mende?«
Sören erhob sich, was der Sessel mit einem dankbaren Ächzen quittierte. »Also ist Björn Mende zurzeit auf Sylt. Er war auch auf Sylt, als Christa Kern ermordet wurde.«
Erik legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schultern. »Jetzt nicht ausflippen, Sören. Erstens wissen wir nicht, ob er wirklich zur Tatzeit auf Sylt war, und zweitens …«
»Wo soll er sonst gewesen sein? Er arbeitet bei Andresen.«
»Er könnte aber am Wochenende frei gehabt haben und nach Husum gefahren sein. Wir haben doch gehört, dass er sich
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