Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
regelmäßig beim Arbeitsamt gemeldet hat. Er muss also gelegentlich nach Hause zurückgekehrt sein.« Erik runzelte die Stirn. »Ob das Arbeitsamt von seiner Tätigkeit bei Andresen weiß?«
Sören nickte zerstreut. Er hielt jetzt einen Schnellhefter in der Hand, den er hastig durchblätterte. Dann blieb er an einer Stelle hängen, las und las, ließ sich erneut, diesmal etwas vorsichtiger, in den Sessel fallen und las weiter.
»Was ist los?«, fragte Erik nervös.
»Er hat Buch geführt«, antwortete Sören, »über die Versammlungen der Therapiegruppe. Hören Sie mal zu: Das Weib hat mein ganzes Leben zerstört, endlich konnte ich es aussprechen. Und ich konnte erzählen, was sie mit mir gemacht hat.«
»Das Weib? Sie glauben, damit ist Christa Kern gemeint?«
»Könnte doch sein! Und hier: Die anderen verstehen jetzt endlich, warum ich sie hasse. Endlich! Ich habe es gesagt. Sogar Einzelheiten konnte ich preisgeben. Laut und deutlich! Vor den anderen! Ich glaube, die Last der Erinnerung fällt tatsächlich allmählich von mir ab.«
»Last der Erinnerung«, wiederholte Erik nachdenklich. »Wenn die Last wirklich seine Stiefmutter ist …«
»Todsicher! Hier noch was: Jeder hat mir bestätigt, dass ich nicht schuld bin. Sie ist schuld, nur sie! Und mein Vater, der diese Schlampe ins Haus geholt hat.« Sören blickte auf. »Es muss sich um Christa Kern handeln.« Hastig las er weiter: »Vielleicht schaffe ich es doch, mich von ihr zu befreien. Und vielleicht funktioniert dann bei mir alles wieder normal. Zum Glück hilft Ulla mir. Mit ihr zusammen kann ich es schaffen.«
»Normal?« Erik runzelt die Stirn. »Was mag er damit meinen?«
»Keine Ahnung.« Sören nahm den Blick nicht vom psychiatrischen Tagebuch Björn Mendes. »Detlef glaubt auch, dass ich es schaffe. Wer darüber reden kann, sagt er, hat sogar schon den zweiten Schritt zur Bewältigung geschafft. Der erste war, überhaupt zu erkennen, was mit mir geschehen ist.«
»Wer ist Detlef?«, fragte Erik.
»Der Psychiater, der die Gruppe leitet.« Sören blätterte zum Anfang des Tagebuchs, wo eine Visitenkarte mit einer Büroklammer befestigt war: »Dr. Detlef Baron in Flensburg.« Er sah seinen Chef fragend an. »Wie wär’s, wenn wir einen Abstecher nach Flensburg machen, ehe wir auf die Insel zurückkehren?«
Erik überlegte nicht lange. »Okay. Rufen Sie bei Dr. Baron an und fragen Sie, ob er zu sprechen ist.«
Während Sören die Nummer des Psychiaters wählte, sah Erik sich im Badezimmer um. In einem weißen Porzellanbecher stand eine Zahnbürste. Auf der Suche nach einer Plastiktüte ging er in die Küche, und in einer Schublade fand er, was er suchte. Bevor er ins Bad zurückkehrte, öffnete er die Tür eines Unterschranks, hinter der er den Abfalleimer vermutete. Er warf einen langen Blick hinein. Als er das benutzte Papiertaschentuch entdeckte, lächelte er.
Sören hatte gerade das Telefongespräch beendet, als Erik wieder ins Wohnzimmer trat. »Dr. Baron ist zu Hause«, erklärte er, »aber über Patienten reden will er nicht. Er beruft sich auf seine ärztliche Schweigepflicht. Auch über das, was in den Gruppengesprächen geäußert wurde, will er nichts sagen.«
»Ich dachte es mir«, gab Erik zurück. »Also ist es sinnlos, nach Flensburg zu fahren.«
Sören nickte. »Stimmt wohl, aber … Ich habe eine Liste mit den Teilnehmern der Gesprächsgruppe gefunden. Ulla Andresen steht übrigens auch drauf.«
Erik war nicht überrascht. »Dann haben die beiden sich vielleicht dort kennen gelernt.«
»Vielleicht können wir uns bei den anderen Teilnehmern umhören?«, schlug Sören vor. »Es ließe sich damit erklären, dass wir Björn Mende suchen. Wir fragen einfach, wo er sein könnte, daraus ergibt sich dann vielleicht ein Gespräch, in dem wir mehr erfahren.«
»Versuchen wir’s. Am besten, Sie klappern die Telefonnummern während der Fahrt ab. Wohnen die alle in Flensburg?«
»Nicht alle. Ich fange einfach mit denen an, die auf unserer Strecke liegen.« Plötzlich starrte er auf zwei Plastiktüten, die Erik in der Hand hielt. In einer steckte eine Zahnbürste, in der anderen ein Papiertaschentuch. »Was soll das sein?«
» DNA -Material«, gab Erik zurück. »Wenn wir hier schon an den gesetzlichen Bestimmungen vorbei ermitteln, dann auch richtig.«
Felix hatte beim Weitsprung einen persönlichen Rekord aufgestellt, und Carolin, die sportliche Höchstleistungen verabscheute, war dazu ausersehen gewesen, die Schüler
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