Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
war, dass italienische Hausfrauen nicht effektiv arbeiteten, sondern vor allem so, dass ein Zuschauer glauben musste, sie schufteten sich zu Tode. Jetzt wandte sie sich um. »Wirst du morgen bei Andresen sein?«, fragte sie.
Erik nickte. »Natürlich! Wir müssen uns gründlich in Ulla Andresens Sachen umsehen. Vielleicht findet sich dort ein Hinweis auf ihren Mörder.« Er dachte kurz nach. »Ich sollte auch mit dieser Anna Rocchi sprechen. Kann ja sein, dass Ulla ihr etwas anvertraut hat. So von Frau zu Frau …«
Er gähnte und machte sich ein zweites Mal an den Aufstieg in die erste Etage. Diesmal endgültig. Mamma Carlotta blickte ihm nach, bis seine Füße nicht mehr zu sehen waren. Sie fühlte sich so schlecht wie damals, als sie heimlich einen großen Teil von Dinos Ersparnissen abgehoben hatte, um Guido ein Moped zu kaufen. Als der Junge knatternd ums Haus gefahren war, hatte Dino gleich die Wahrheit geahnt. Und als er eine halbe Stunde später einen Rückfall bekam, hatte seine Frau sich zur Strafe mehrere Rosenkränze auferlegt und ein ganzes Jahr auf das Tiramisù verzichtet, das sie nach dem Einkauf auf dem Markt in der Pasticcieria von Signora Iliescu zu sich zu nehmen pflegte. Zwar hatte sie bei der Gelegenheit feststellen dürfen, dass Signora Iliescus Apfelkuchen genauso gut schmeckte, aber sie fand, das tat nichts zur Sache. Sie hatte jedenfalls ihr Gelübde gehalten. Vielleicht brauchte sie ja gar nicht zu beichten, dass sie Erik hintergangen hatte? Und wenn es sich doch als notwendig erweisen sollte, dann würde sich vielleicht ein guter Grund finden, mit dem sie erklären konnte, warum sie sich Anna Rocchi genannt und bei Fisch-Andresen ihr erstes Geld verdient hatte, ohne ihren Schwiegersohn darüber zu informieren.
17
Ein weiterer Mord! Schläft die Kriminalpolizei auf Sylt? Wie viele Bürger müssen noch ihr Leben lassen, bis die Hüter der Ordnung dem Mörder endlich das Handwerk legen?
Wolf Andresen sah blass aus, seine Augen waren rot gerändert, als hätte er wenig geschlafen. Aber sein Haar war so sorgfältig gescheitelt wie immer, sein Hemd und seine Schürze mit der Aufschrift Fisch-Andresen waren so makellos wie an jedem Morgen. Als Erik und Sören kurz vor neun vor seiner Ladentür erschienen, rückte er gerade die Hummer-Attrappe zurecht, die von den vielen Windstößen, die mit den Kunden ins Schaufenster fuhren, aus ihrer korrekten Haltung gerückt war. Er begrüßte die beiden Beamten mit einem knappen »Moin«, dann wandte er sich um und begann sein Warensortiment zu ordnen.
»Wollen Sie wirklich den Laden öffnen?«, fragte Erik.
Andresen nickte. »Arbeit lenkt ab. Und die Waren sind
ja auch geliefert worden.« Er wies auf das zackige Heer der Makrelen und Heringe, die sich unter seinem Kommando bereits in Reih und Glied aufgebaut hatten. »Björn muss jeden Augenblick kommen. Wenn er nicht mit Lieferungen unterwegs ist, kann er den Laden machen, falls ich es nicht schaffe. Und Signora Rocchi wird ja auch bald erscheinen. Meist kommt sie zwischen zehn und elf.«
»Denn es ist Ihnen ja nicht gelungen, sie früher zu bestellen«, vollendete Erik.
In diesem Augenblick öffnete sich die Ladentür, und der Auslieferer trat ein. »Moin!« Er stockte, strich sich unruhig über den Unterbauch und sah die beiden Beamten unsicher an. »Haben Sie den Mörder von Frau Kern endlich gefunden?«
Es sollte locker klingen, vielleicht sogar schnoddrig, aber Erik ließ sich nicht täuschen. Er hielt Björn Mendes Blick fest, als er sagte: »Es hat einen zweiten Mord gegeben. Frau Andresen wurde gestern Abend tot aufgefunden.«
Björn erstarrte, seine Augen öffneten sich weit, seine Unterlippe sank herab, es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis Eriks Worte in seinem Kopf angekommen waren. Als es so weit war, stöhnte er auf, griff sich mit der Linken zum Hosenschlitz und tastete mit der Rechten nach einem Halt. Andresen sprang hinzu, als Björns Hand den Rand eines Tabletts in der Auslage erwischte, das hochschnellte und die Sprotten, die dort in vollkommener Symmetrie angeordnet waren, durcheinanderbrachte. Man sah Andresen an, dass es ihm schwerfiel, auf eine unfreundliche Bemerkung zu verzichten.
Er griff nach dem Arm seines Auslieferers und drückte ihn so fest, dass sich dessen Gesicht schmerzhaft verzog. »Ja, es ist schrecklich«, sagte er leise und eindringlich. »Schrecklich für uns alle. Am schrecklichsten für Saskia.« Dann ließ er Björn los und machte sich daran, die
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