Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
lustlos waren, als ausgebrannt, obwohl sie keinen Schimmer hatten, was das in Wirklichkeit bedeutete. Außerdem war eine neue Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass es für ausgebrannte Menschen besser war, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben. Angeblich tat es ihnen nicht gut, nur zu Hause zu sein. Sara fragte sich, wer in Gottes Namen diese Untersuchung durchgeführt hatte und wie man bloß auf ein so abwegiges Ergebnis hatte kommen können. So etwas konnte wirklich nur jemand behaupten, der nicht wusste, was es hieß, mit den finstersten Seiten der Finsternis konfrontiert zu sein, die eine Überlastungsdepression mit sich brachte.
Die Krankenkasse verlangte nun von ihr, dass sie sich innerhalb eines Monats von einer hundertprozentigen Krankschreibung auf hundert Prozent Arbeit steigerte. Die Dame von der Personalabteilung der Firma, die zusammen mit dem Betriebsarzt an dem Termin teilgenommenhatte, war keine große Hilfe gewesen. Jedenfalls nicht für Sara.
»Tja«, hatte sie zur Sachbearbeiterin, sie hieß Maria, gesagt, »als wir jung waren, gab es die Begriffe Burn-out und Überlastungsdepression ja noch gar nicht.«
»Sara, wir haben wirklich getan, was wir konnten. Ich weiß nicht, wie wir dir jetzt noch helfen können.« Die Betriebsärztin sah sie an.
»Was hast du denn schon für mich getan?«, entfuhr Sara ein plötzlicher Zornesausbruch. Wollten die damit etwa sagen, das Problem läge bei ihr? Es wäre ihre eigene Schuld gewesen, dass es ihr so schlecht ging? Drei Berater – drei! – waren eingestellt worden, um ihre Aufgaben zu übernehmen. Wenn das nicht alles sagte.
»Manchmal hatten wir Gesprächstermine vereinbart, zu denen du nicht einmal erschienen bist«, sagte die Betriebsärztin.
Die Sachbearbeiterin blickte von ihren Unterlagen auf und runzelte die Stirn. »Termine, die Sara nicht wahrgenommen hat?«, fragte sie nach, während sie sich eine Notiz machte. Anschließend blickte sie Sara scharf an.
»Moment mal.« Sara rang nach Luft. »Ich habe einen einzigen Termin versäumt. Das ist über ein Jahr her.«
»Das ist durchaus möglich, aber ich weiß noch, dass du ein anderes Mal gar nicht erschienen bist, weil du verreist warst.«
Sara fragte sich, ob sie die Rollenverteilung bei dieser Zusammenkunft vollkommen missverstanden hatte. Eigentlich war die Betriebsärztin doch da, um ihr zu helfen und sie zu unterstützen. Schließlich hatte sie die Gutachten geschrieben und fröhlich Medikamente verschrieben.
»Du hast zu mir gesagt, ich bräuchte Abwechslung. Deshalb sind die Kinder und ich mit meinen Eltern nach Dänemark gefahren. Mein Mann Tomas war ja in denUSA und hat gearbeitet. Wie du dich vielleicht erinnerst, habe ich das auf deine Empfehlung hin getan!«
Die Betriebsärztin schien sich an diese Empfehlung nicht erinnern zu wollen. Sie hatte Medikamente verschrieben und versucht, Sara so schnell wie möglich loszuwerden. Angstlösende Mittel. Tabletten, mit denen sie besser einschlafen konnte, Pillen, mit denen sie den Tag überstand oder zumindest überlebte. Irreführenderweise wurden sie Glückspillen genannt. Wenn niemand von der Personalabteilung dabei war, hatte die Betriebsärztin kein einziges Mal mehr als zehn Minuten Zeit für Sara gehabt. Immer war Sara die treibende Kraft gewesen.
All dies trug Sara in sorgfältig gewählten Worten und so ruhig wie irgend möglich vor, obwohl sie innerlich kochte und die Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte. Sie hatte um psychologische Hilfe gebeten und gefragt, was sie selbst konkret tun konnte. Sie war es gewohnt, an ihren Schwachpunkten zu arbeiten und sich gerade auf diesen Gebieten so anzustrengen, dass aus Schwächen Stärken wurden. Aber diese Sache war anders.
Ich hätte mir einen anderen Job suchen sollen, dachte Sara. Vielleicht würde alles wieder gut werden, wenn sie ihren jetzigen Arbeitsplatz verließ oder irgendwo anders neu anfing. Sie hatte sogar eine mögliche Alternative gefunden, die sich zumindest interessant anhörte. Es hatte für sie eine wahnsinnige Kraftanstrengung bedeutet, aber sie hatte angerufen, eine Bewerbung hingeschickt und war zum Gespräch eingeladen worden. Das Bewerbungsgespräch war gut gelaufen, aber als sie gefragt hatte, ob es möglich wäre, zum Beispiel mit fünfzig Prozent Arbeitszeit anzufangen, hatte man sie nach dem Grund gefragt. Lügen lag ihr nicht, und anstatt sich etwas aus den Fingern zu saugen und zu behaupten, sie wolle ihre Kinder nicht so lange im Kindergarten
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