Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
lagen dunkel da. Abgesehen von der Dame mit dem taubenblauen Jackett aus dem Coop Nära waren die Touristen verschwunden, dachte Karin.
In der Fredrik Bagges Gatan kam ihr ein älteres Paar entgegen, das in die Bergsgatan abbog. Die beiden lächelten still vor sich hin und schienen ihre Umgebung gar nicht wahrzunehmen. Karin hätte gerne gewusst, ob sie sich schon lange kannten. Hätte sie raten sollen, hätte sie getippt, dass die beiden sich in ihrer Jugend kennengelernt und sofort gewusst hatten, dass sie zueinander passten. Bei manchen Menschen klappte das ja. Nur bei ihr nicht. Sie hatte sich aus einem ganz bestimmten Grund von Göran getrennt, und zwar, weil die Beziehung auf Dauer nicht funktioniert hätte. Hastig überquerte Karin den kleinen Parkplatz am Strand in der Blekebukten. Die Rosen, die die Kommune pflanzte, hatten noch immer grüne Blätter, aber das Laub der großen Birke wurde bereits gelb und fiel zu Boden.
Ganz am Ende des Pontonstegs lag die
Andante
und wartete auf sie. Auch an diesem Freitagabend war es im Yachthafen auf dieser Seite des Sunds still und friedlich. Hier hatten die Ortsansässigen ihre Boote liegen, während Besucher meistens im Hafen der Insel Marstrandsön anlegten. Meeresleuchten umgab jeden beweglichen Gegenstand im Wasser mit einer schillernden Kontur. Anlegeleinen, Bojen und Fender tauchten ein, wenn die Boote schaukelten. Der Anblick war schön und romantisch. Irritiert schob sie den Gedanken beiseite und ging an Bord. Da die
Andante
gediegene acht Tonnen wog, schaukelte sie nicht unter ihrem Gewicht. Sie bewegte sich überhaupt nicht.
»Hallo, ich bin wieder zu Hause«, sagte sie leise und legte die Hand auf das Stahldeck, bevor sie das Cockpit betrat.
Das Teakholzgitter knarrte leise unter ihren Füßen, und die automatische Lenzpumpe gurgelte zur Begrüßung. Sie streckte die Hand nach dem Vorhängeschloss aus, aberanstatt gleich aufzuschließen, sah sie sich erst einmal um. Das Meer lag ganz ruhig da, spiegelte die Sterne und hob und senkte sich kaum merklich. »Das Meer iert«, sagten die Bohusläner dazu. Ein Ausdruck, der beruhigend klang. Ich bin reich, dachte sie, als sie auf die See und die Umgebung blickte – die schönen Häuser auf Marstrandsön und die roten Bootsschuppen, die sich auf der anderen Seite des Sundes an die grauen Klippen der Blekebukten klammerten.
Sie öffnete die Luke und stieg die Holztreppe hinunter. Ein kaum wahrnehmbarer Dieselgeruch kam ihr entgegen. Der Duft an Bord der
Andante
war etwas ganz Besonderes. Dies war ihr Zuhause, hier war sie in ihrem Element. Hier war sie ganz sie selbst.
Sie griff nach der Fernbedienung der Stereoanlage. Die Töne von »Taubes Sjösala« Vals, in dem die Seeschwalbe Junge bekommen hat und in die Bucht eintaucht, strömten aus den Lautsprechern der fest installierten Autostereoanlage. Auch wenn der gute Rönnerdahl sich an der Ostküste befunden hatte und das Lied vom Frühling handelte, erkannte Karin sich wieder. Dies war ihre Bucht. Vielleicht war es auch umgekehrt, und sie gehörte der Bucht und den Klippen.
Sie zündete die Petroleumlampe über dem Navigationstisch an. Trotz der späten Stunde kramte sie ihr Notebook hervor, das den ganzen Sommer über im Kleiderschrank verstaut gewesen war, und legte die CD-Rom mit der Aufschrift »Die Häuser auf der Insel Marstrand, Version 2004« ein.
Nachdem sie sich darüber informiert hatte, wie das Material zu den Gebäuden gesammelt worden war, gelangte sie zum Straßenverzeichnis. Laut ihrem Notizbuch wohnte Frau Wilson in der Hospitalsgatan 7. Nach einem Klick sah Karin ein Bild des Hauses. Es war genau dasrichtige, das sah sie sofort. Vor allem das Grundstück war auffällig. Ein weiterer Klick brachte sie zum Eigentümerverzeichnis. Das Haus war alt, es gehörte zu den ältesten auf der Insel.
Hospitalsgatan 7
1685
Brache
1701 kauft
K. Petter Ahlgren der Stadt das Grundstück ab und baut ein Haus mit zwei Zimmern und Küche.
Mehr stand dort nicht über K. Petter Ahlgren.
1733
übernimmt sein Sohn Inge, der als Fischer tätig ist, das Haus. Es kommt ein Stockwerk hinzu, die Eltern bewohnen weiter das Erdgeschoss.
1775
Gastwirtschaft im Erdgeschoss
Die Aufzeichnungen warfen fast mehr Fragen auf, als sie beantworteten. Karin versuchte, sich die früheren Besitzer und den Bruch vorzustellen, der dazu geführt hatte, dass sich in dem Haus plötzlich eine Kneipe befand. Was war in der Zwischenzeit
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