Die Tote im Badehaus
ich amüsieren mußte. Im Marimba habe ich die Visitenkarten.«
»Rei wird dich nicht mehr belästigen«, versprach ihr Richard. »Zumindest weißt du, daß ich da bin, um dich zu beschützen.«
Richard tätschelte ihre Dreadlocks, und Mariko kuschelte sich an seine Brust. Sie wirkten glücklich in ihrer Umarmung. Zu glücklich. Als ich aufstand und mich verabschiedete, beachtete mich nur die Curryköchin. Die beiden würden auch ohne mich nach Hause finden.
Vierzig Minuten später war ich in Kawasaki. Bewaffnet mit der Adresse, die ich in Setsukos Buch gefunden hatte, ging ich zu einem Polizeiwachhäuschen. Der diensthabende Beamte zeigte mir die Adresse auf einem übergroßen Stadtplan an der Wand.
»Am besten nehmen Sie den Bus, denn mit dem Taxi wird es teuer«, riet er mir. Er hatte wohl beschlossen, mich als Rucksacktouristin einzustufen. »Aber Sie sollten nächste Woche hinfahren. Seit heute mittag ist geschlossen.«
Ich verstand nicht, was er meinte.
»Das Postamt.« Er klopfte bedeutsam auf die Landkarte. »Sie haben mich nach dem Postamt des nördlichen Bezirks gefragt.«
Teufel auch, daß sie das Land so schnell aufbauten, dachte ich, als ich im Bus saß; ich wollte sichergehen, daß er recht hatte. Wer auch immer da gewohnt hatte, wo das glänzende weiße Postamt jetzt stand, war längst weg. Ich ging zu dem Obstverkäufer auf der linken Seite und dem Schreibwarenladen auf der rechten, aber niemand wußte etwas über ein Haus, das früher einmal hier gestanden hatte, oder wohin seine Bewohner gezogen sein könnten.
Es dauerte zwölf Minuten, nach Tokio zurückzufahren, lange genug, daß die Depression sich auf mich senken konnte wie eine schwere Decke. Lieber wäre mir eine Bettdecke gewesen, unter der ich schlafen und alles vergessen konnte. Ich würde meine Befürchtungen ignorieren, daß Mariko im Begriff sein könnte, Richards Bankkonto zu plündern, oder daß sie irgend etwas über Setsukos Tod wußte. Ich würde die brutale Vorstellung von Mrs. Yogetsu wegschieben, die wegen eines Geheimnisses, das ich nicht hatte hören wollen, in den Tod gestürzt war. Und ich würde es nicht wagen, einen Gedanken an Hugh zuzulassen.
Ich hatte mich eigentlich ein Stündchen hinlegen wollen, aber als ich aufwachte, war es stockdunkel und eiskalt. Ich streckte einen Arm unter dem Futon hervor und angelte mir die Jeans, die ich zuletzt getragen hatte. Ich zog eines von Richards Oxfordshirts und meinen Parka an, bevor ich mich auf die Suche nach etwas Eßbarem machte. Nichts. Die einzige Lösung war ein Snack aus dem Lebensmittelgeschäft. Eilig machte ich mich auf den Weg und dachte an meine Lieblings onigiri , mit Seetang umwickelte Reisbällchen mit einer pikanten eingelegten Pflaume in der Mitte. Ich war so gefangen von dieser Vorstellung, daß ich eine schwarze Limousine übersah, die um die Ecke schoß, aber ich sprang gerade noch rechtzeitig zurück.
»Was gibt es Neues?« Mr. Waka legte die Boulevardzeitung weg, als ich seinen Laden betrat.
»Nicht viel. Ich bin heute abend allein. Richard amüsiert sich gerade mit einem Mädchen, das bei uns eingezogen ist und meinen Platz eingenommen hat.«
»Hier, nehmen Sie von meinem oden. Das ist gut fürs bekümmerte Herz.« Mr. Waka ging zum Tresen und rührte in einem Kessel mit einer goldbraunen Flüssigkeit, so daß ein paar Wurststückchen und Fischkuchen an der Oberfläche auftauchten.
»Mmm, mir hat eher etwas Leichteres vorgeschwebt«, wandte ich ein. »Nur etwas Reis. Gibt es noch onigiri?«
Mr. Waka schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nein. Nur mit Lachs, aber die mögen Sie ja nicht.«
Ich suchte im Kühlschrank und in den Gefriertruhen herum und nahm schließlich eine Sweet-Sixteen-Eistüte. Das war etwas Einfaches und Wohltuendes, und es würde auf dem Heimweg kalt bleiben.
Als ich mit der Eistüte in meiner behandschuhten Hand nach Hause ging, hallten meine Schritte laut wider, vielleicht, weil es in dem Viertel so ruhig war. Samstag abend in einer der am dichtesten bevölkerten Städte der Welt, und keine Menschenseele zu sehen. Ich sehnte mich nach irgendeinem Zeichen von Leben, etwas, das mich davon überzeugte, das ich nicht der einsamste Mensch von ganz Tokio war.
Ich revidierte meinen Wunsch sofort, als ich um die Ecke in meine Straße einbog. Vor meiner Tür parkte mit eingeschalteter Warnblinkanlage die schwarze Limousine, die mich gestreift hatte.
18
Ich blickte hinauf zu meinem erleuchteten Fenster und sah die
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