Die Tote im Götakanal
verlassen?
Kafka: Ja.
Peterson: Okay. Was wollen Sie wissen? Beeilen Sie sich, damit ich hier rauskomme, bevor ich einen hysterischen Anfall kriege.
Kafka: Warum zwangen Sie Miss McGraw, auszuziehen?
Peterson: Weil sie es zu toll getrieben hat.
Kafka: In welcher Weise?
Peterson: Roseanna war kein übles Mädchen.
Aber eine läufige Hündin war nichts im Vergleich mit ihr… und das habe ich ihr gesagt.
Kafka: Was antwortete sie darauf?
Peterson: Mein bester Lieutenant, Roseanna würde auf so eine ordinäre Anschuldigung nie geantwortet haben. Darüber war sie erhaben. Sie lag nur nackt in ihrem Bett und las irgendeinen Philosophen und dann blickte sie einen an. Mit großen Augen, etwas verständnislos und nachsichtig.
Kafka: War sie hitzig und temperamentvoll?
Peterson: Sie hatte überhaupt kein Temperament.
Kafka: Und was war der direkte Anlaß zu diesem Streit?
Peterson: Das dürfen Sie sich selber ausrechnen.
Sogar Sie dürften soviel Phantasie haben.
Kafka: Ein Mann?
Peterson: Ein Mann natürlich. Sie hatte die Unverfrorenheit, sich mit ihm ins Bett zu legen, während ich in einem Dorf, 30 Meilen entfernt, auf ihn wartete. Er hatte mich mißverstanden – dumm war er auch – und glaubte, er sollte mich zu Hause abholen. Als er kam, war ich schon weg. Roseanna war natürlich zu Hause. Sie war immerzu Hause. Und so ging es, wie es gehen mußte. Gott sei Dank war der Kerl weg, als ich zurückkam. Sonst würde ich jetzt wohl i n Sioux City Säcke nähen.
Kafka: Und woher erfuhren Sie von dem Geschehenen?
Peterson: Von Roseanna. Ehrlich war sie immer.
»Warum hast du das getan?« – »Weil ich Lust hatte, meine gute Mary Jane.« Und dann noch ganz ruhig und logisch: »Sei froh, daß du ihn los bist.
Besser jetzt als später.«
Kafka: Trotzdem behaupten Sie weiterhin, daß Sie und Miss McGraw Freundinnen waren?
Peterson: Ja, eigentlich seltsam. Wenn Roseanna überhaupt eine Freundin hatte, dann war ich es. Es ging besser, seit sie weggezogen war und wir uns nicht mehr tagaus, tagein sahen. Als sie hierherkam – von der Universität -, war sie immer allein. Ihre Eltern waren schon früh gestorben, und Geschwister hatte sie nicht, auch keinen Freund. Außerdem ging es ihr damals geldlich schlecht. Es gab Schwierigkeiten mit ihrer Erbschaft, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie etwas ausbezahlt bekam.
Das war, nachdem wir uns getrennt hatten, gleich nachdem sie sich diese Wohnung angeschafft hatte.
Kafka: Können Sie uns etwas über ihren Charakter erzählen?
Peterson: Ich glaube, sie litt an einer Art Selbständigkeitskomplex, der ganz seltsame Formen annahm. So setzte sie zum Beispiel eine Ehre darein, salopp zu wirken. Am liebsten ging sie in Slacks und großen, weiten Pullovern. Nur mit Mühe ließ sie sich dazu bringen, ein Kleid anzuziehen, wenn sie zum Dienst ging. Sie hatte eine Menge seltsamer Ideen. Einen BH trug sie fast nie, und gerade den benötigte sie mehr als andere. Sie verabscheute es, Schuhe zu tragen. Überhaupt machte sie sich nichts aus Kleidungsstücken, sagte sie. Im Haus lief sie oft genug splitternackt herum. Sie trug nie ein Nachthemd oder einen Schlafanzug. Das irritierte mich ganz ungemein.
Kafka: War sie, was man schlampig nennt?
Peterson: Wenn Sie damit unordentlich meinen, das nicht. Nur auf ihr Äußeres legte sie keinen Wert. Sie tat, als hätte sie noch nie bemerkt, daß es solche Dinge gibt wie Kosmetika, Damenfriseure oder Nylonstrümpfe. Aber mit anderen Dingen war sie fast pedantisch, besonders mit ihren Büchern.
Kafka: Was hatte sie für Interessen?
Peterson: Sie las viel und schrieb auch einiges.
Fragen Sie mich nicht was, denn das weiß ich nicht.
Im Sommer war sie oft stundenlang im Freien. Sie wanderte gerne. Ja, und dann natürlich Männer.
Mehr Interessen hatte sie nicht.
Kafka: War Miss McGraw eine attraktive Frau?
Peterson: Bestimmt nicht. Aber sie war mannstoll, und damit kam sie ganz schön weit.
Kafka: Hatte sie denn nie einen festen Freund?
Peterson: Als sie von mir wegzog, hatte sie mal einen vom Straßenbauamt. Etwa für ein halbes Jahr, ich traf ihn ab und zu. Der Himmel weiß, Wie oft sie ihn betrogen hat. Dutzende von Malen, würde ich annehmen.
Kafka: Hat sie in der Zeit, als Sie noch zusammenwohnten, oft Männer in die Wohnung mitgebracht?
Peterson: Das kann man wohl sagen.
Kafka: Wie oft?
Peterson: Was nennen Sie oft?
Kafka: Sagen wir, mehrmals in der Woche.
Peterson: Das nun wieder nicht. Irgendwo mußte das
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