Die Tote im Götakanal
nicht behaupten, daß ich ihn mag. Ich habe übrigens mit dem: Fogd gesprochen.
Er sagte, wenn ein Vernehmungsexperte benötigt wird, so sollten wir dich anfordern. Ich finde, es wird einer benötigt.«
Martin Beck sah auf seine Uhr. Den Fahrplan kannte er jetzt auswendig.
»Okay. Ich nehme den Halb-acht-Uhr-Zug. Also bis gleich.«
Er ließ das Taxi über Kristineberg fahren und holte die Mappe mit dem Vernehmungsprotokoll und den Personalakten unterwegs ab. Fünf vor halb acht saß er im Zug.
Karl-Åke Eriksson-Stolt war vor zweiundzwanzig Jahren in der Gemeinde Katarina geboren. Sein Vater starb, als er sechs Jahre alt war, und im Jahr darauf zog seine Mutter mit ihm nach Hagalund, wo sie als Näherin in einem Konfektionshaus arbeitete.
Er war ein Einzelkind, und die Mutter hatte für ihn gesorgt, bis er mit der Schule fertig war. Der einzige Lehrer, der sich an ihn erinnerte, beschrieb ihn als netten und gerade eben begabten Jungen, etwas streitsüchtig und aufsässig. Nach der Schule arbeitete er als Fahrradbote oder in verschiedenen Werkstätten. Mit achtzehn Jahren ging er zur See, die erste Reise als Jungmann und dann als Heizer.
Das Logbuch hatte nichts Besonderes über ihn auszusagen. Ein Jahr darauf zog er wieder zur Mutter nach Hause und ließ sich von ihr unterhalten, bis sich der Staat wegen der besonderen Einzelheit für ihn interessierte. Im April vorigen Jahres wurde er aus dem Zuchthaus Längholmen entlassen.
Martin Beck hatte die Vernehmungsprotokolle am vorhergehenden Tag durchgesehen, jetzt las er sie nochmals genau. Er suchte sich aus der Mappe mit den Unterlagen über Eriksson-Stolt das Gutachten des Gerichtspsychiaters heraus. Viel stand nicht drin. Dem Angeklagten wurde Labilität, Lethargie und Gefühlskälte bescheinigt, dazu eine gewisse psychopathische Veranlagung, gepaart mit einem stark entwickelten Geschlechtstrieb, eine Kombination, die zu verbrecherischen Handlungen führen könne.
Vom Bahnhof ging Martin Beck direkt zum Polizeipräsidium. Zehn Minuten vor elf klopfte er an Ahlbergs Tür. Kommissar Larsson war gerade bei Ahlberg. Beide wirkten abgespannt und sorgenvoll und schienen erleichtert über Martin Becks Eintreffen. Keinem der beiden war es geglückt, ein Wort aus Eriksson herauszubekommen – außer verschiedenen Flüchen.
Ahlberg sah die Personalakten durch. Als er die Mappe wieder zuschlug, erkundigte sich Martin Beck:
»Hast du den anderen Heizer schon aufgetrieben?«
»Ja, hab ich. Er arbeitet auf einem deutschen Schiff, das gerade in Hoek van Holland liegt. Heute morgen rief ich Amsterdam an und sprach mit einem Kommissar, der etwas Deutsch konnte. Du hättest sein Deutsch hören sollen! Wenn ich ihn recht verstanden habe, haben sie einen dänischsprechenden Beamten in Den Haag, der die Vernehmung durchführen könnte. Wenn er mich auch richtig verstanden hat, dürften wir morgen etwas hören.«
Dann ließ Ahlberg Kaffee kommen. Martin Beck trank 2 Tassen.
»Okay, dann fangen wir am besten gleich an«, sagte er. »Wo sollen wir es machen?«
»Im Raum hier nebenan. Da ist ein Tonbandgerät und was du sonst noch brauchst.«
Eriksson sah ungefähr so aus, wie Martin Beck ihn in Erinnerung hatte. Einsachtzig groß, mager, schmales Gesicht mit engstehenden blauen Augen unter kräftigen, geraden Augenbrauen. Lange, gerade Nase, kleiner, schmallippiger Mund, fliehendes Kinn. Das Haar war schwarz, lang im Nacken und in hohem Schwung über die Stirn gekämmt; ein ungepflegter Bart. Martin Beck konnte sich nicht erinnern, ob er ihn das letzte Mal auch schon gehabt hatte. Seine Haltung war schlecht. Er stand leicht vornübergebeugt mit hochgezogenen Schultern und krummem Rücken da. Er trug zerschlissene Jeans, einen marineblauen Pullover, schwarze Lederweste und schwarze Schuhe mit spitzen Kappen.
»Setzen Sie sich«, sagte Martin Beck und deutete auf den Stuhl auf der anderen Schreibtischseite.
»Zigarette?«
Eriksson nahm eine Zigarette, bekam Feuer und setzte sich. Die Zigarette im Mundwinkel, den rechten Fuß auf das linke Knie gelegt, starrte er über Martin Becks Kopf an die Wand. Die Daumen hatte er in den Gürtel gesteckt und wippte lässig mit dem Fuß.
Martin Beck sah ihn eine Weile an, schaltete das Tonbandgerät ein, das neben ihm auf einem Tischchen stand, und begann in der Mappe zu blättern.
»Eriksson, Karl-Åke, geboren am 23. November 1941. Seemann, zur Zeit auf dem finnischen Frachter Kalajoki .
Heimatort Hagalund/ Solna. Stimmt
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