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Die Tote im Götakanal

Die Tote im Götakanal

Titel: Die Tote im Götakanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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beschäftigt. Die haben Unmengen von Material. Die Ausschlußmethode nennt Melander das und verdächtigt erst mal alle, einschließlich der Kinder und der alten Handarbeitslehrerinnen. «
    Martin Beck schwieg und blickte Ahlberg an, der mit gesenktem Kopf dasaß und seine Daumennägel anzustarren schien. Er konnte Ahlbergs Enttäuschung verstehen. Es war ihm selber genauso gegangen, als er vor einer Stunde einsehen mußte, daß Karl-Åke Eriksson nicht der Gesuchte war.
    »Bist du enttäuscht?« fragte er.
    »Ja, das muß ich zugeben. Ich dachte schon, wir hätten’s geschafft, und jetzt zeigt es sich, daß wir noch genauso weit zurückliegen.«
    »Na, ein Stück weiter sind wir jedenfalls. Mit Kafkas Hilfe.«
    Das Klingeln des Telefons riß beide aus ihren trüben Gedanken. Ahlberg griff nach dem Hörer, lauschte ein paar Sekunden und sagte dann auf deutsch:
    »Ja, ja, ich bin am Apparat. Ahlberg hier.« Und mit einer schnellen Kopfbewegung zu Martin Beck:
    »Das Gespräch aus Amsterdam.«
    Der verließ diskret das Zimmer, und während er sich die Hände wusch, dachte er an, auf, hinter, neben, in, über, unter, vor und zwischen, und er erinnerte sich an den süßlichen Duft in einem Zimmer vor langer Zeit und an einen runden Tisch mit grüner Decke und eine alte Lehrerin mit einer zerfledderten deutschen Grammatik in den dicklichen Händen. Nach drei Minuten legte Ahlberg den Hörer wieder auf.
    »Was für eine verrückte Sprache«, sagte er.
    »Sjöberg war nicht auf dem Schiff. Er hatte in Göteborg angemustert, ist aber niemals an Bord gekommen. Sollen sich die Kollegen in Göteborg darum kümmern. «
    Im Zug nickte Martin Beck ein. Er wachte erst auf, als der Zug im Hauptbahnhof hielt. Richtig wach wurde er erst, als er in seinem Bett in Bagarmossen lag.

16
    Zehn Minuten nach fünf schlug Melander seinen üblichen Trommelwirbel an die Tür, wartete fünf Sekunden und steckte sein düsteres, schmales Gesicht in die Türspalte.
    »Ich gehe jetzt. Alles in Ordnung?«
    Er war nicht verpflichtet, sich abzumelden; trotzdem wiederholte sich die Prozedur jeden Tag. Sein morgendliches Eintreffen kündete er dagegen niemals an.
    »Ja, sicher«, sagte Martin Beck. »Also, dann bis morgen.«
    Martin Beck saß unlustig an seinem Schreibtisch und hörte, wie sich der Arbeitstag langsam seinem Ende entgegenneigte. Zuerst verstummten die Telefone, dann die Schreibmaschinen, dann allmählich die Stimmen und zum Schluß die letzten Schritte auf den Korridoren.
    Um halb sechs rief er zu Hause an. »Ihr braucht nicht mit dem Essen auf mich zu warten.«
    »Kommst du spät?«
    »Ich weiß noch nicht. Es ist möglich.«
    »Du hast die Kinder seit Ewigkeiten nicht gesehen.«
    Er hatte sie zwar vor weniger als neun Stunden gesehen und gehört, und das wußte sie ebenso gut wie er.
    »Martin?«
    »Ja?«
    »Du bist so seltsam. Hast du Ärger?«
    »Nein, keine Spur. Nur viel Arbeit.«
    »Ist das alles?«
    »Ja, natürlich.«
    Es war der gewohnte Dialog. Der Augenblick war vorbei. Einige nichtssagende Fragen, und dann war das Gespräch zu Ende. Zerstreut behielt er den Hörer am Ohr und hörte weiter hin. Klick und dann gar nichts mehr, und es kam ihm so vor, als ob sie sich Tausende von Meilen entfernt hatte. Jahre waren vergangen, seit sie das letzte Mal wirklich miteinander geredet hatten…
    Seufzend runzelte er die Stirn und betrachtete den Berg von Akten auf seinem Tisch.
    Jedes einzelne Blatt hatte etwas über Roseanna McGraw und über den letzten Tag in ihrem Leben auszusagen. Davon war er überzeugt. Trotzdem sagten sie ihm nichts.
    Sie alle noch einmal durchzulesen erschien sinnlos, aber er sollte es doch auf jeden Fall tun. Und zwar jetzt, sofort. Vielleicht kam ihm ja eine Erleuchtung.
    Er wollte nach einer Zigarette greifen, aber die Schachtel war leer. Er warf sie in den Papierkorb und suchte in der Jacke nach eine r neuen. In den letzten Wochen hatte er doppelt soviel wie sonst geraucht, und das spürte er im Portemonnaie wie auch im Hals. Offenbar hatte er schon seine Reserven verbraucht, denn das einzige, was ; sich in der Innentasche fand, war etwas, was er nicht sofort wiedererkannte.
    Etwas befremdet starrte er auf die Ansichtskarte, die er neulich in einem Tabakgeschäft in Motala gekauft hatte. Es war eine Fotografie der Schleusentreppe in Borenshult. Im Hintergrund der See mit der Mole und vorne zwei Männer, die gerade dabei waren, die Schleusentore für ein Passagierschiff zu öffnen. Das Bild mußte vor mehreren

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