Die Tote im Keller - Roman
Spiegel konnte eine Rundumerneuerung wirklich gebrauchen.
Irene platzierte ihren dünnen Mantel und ihre gestrickte Baumwolljacke neben ihrem Laptop in der Gepäckablage über dem Sitz. Im Seitenfach der Computertasche steckten sämtliche Papiere über den Fall. Das war vielleicht etwas übertrieben, sowohl Hosenträger als auch Gürtel, wie Fredrik gesagt hätte, aber sie wollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Sie kontrollierte noch einmal, dass die Tasche und alle ihre Seitenfächer ordentlich verschlossen waren. Danach setzte sie sich. Sie hatte eine Stretchjeans an, die auch bei einer langen Reise nicht knittern würde, und einen dünnen Rollkragenpullover aus Wolle. Unter dem Pullover trug sie ein kurzärmeliges Top. Sie hatte sich so gekleidet, dass sie ein paar Schichten ablegen konnte, falls es zu warm würde. Sie hatte ihre Segelschuhe angezogen und
dazu Kniestrümpfe aus dünner Wolle. Bei der Landung wollte sie ihre Strümpfe ausziehen und ihre Schuhe barfuß tragen. Vorher hatte sie dann vermutlich bereits den Rollkragenpullover ausgezogen. Im Rucksack waren ihr Necessaire, ihre soeben erworbenen Verjüngungscremes, frische Unterwäsche, ein Bikini, zwei T-Shirts, Sandalen und Shorts. Im Außenfach waren Pass, E-Ticket und ihre Brieftasche verstaut. Sie musste nach ihrer Ankunft noch Euros aus einem Geldautomaten ziehen. Trotz der kurzen Vorbereitungszeit fand sie, dass sie alles gut im Griff hatte.
Neben ihr saß ein älteres Paar um die siebzig, das sie gegrüßt und dann sofort Schlafmasken aus blauer Seide hervorgezogen hatte. Offenbar warteten sie darauf, dass die Maschine startete, damit sie die Stuhllehne nach hinten neigen und schlafen konnten. Das passte Irene ausgezeichnet. Sie hatte keine Lust, so früh am Morgen Konversation zu betreiben, sondern beabsichtigte dem Beispiel ihrer Nachbarn zu folgen, wenn auch ohne Schlafmaske.
In der Reihe vor ihr nahm eine Familie mit Kindern Platz. Bereits vor dem Start wussten alle, dass die Jungen Lukas, Simon und Natan hießen. Lukas war offenbar bereits in der Schule, da er seinen kleinen Brüdern die ganze Zeit damit in den Ohren lag, eigentlich seien das seine Sportferien. Um Sportferien zu bekommen, müsse man in die Schule gehen. Der kleine Natan trug noch Windeln, und Simon befand sich altersmäßig in der Mitte. Die beiden Jüngeren wurden immer ärgerlicher auf ihren großen Bruder, der triumphierend verkündete, dass sie eigentlich gar nicht in den Ferien verreisen dürften, da es, wie gesagt, seine Ferien seien. Die Kleineren wussten sich angesichts dieser Logik nur noch damit zu helfen, dass sie laut schreiend auf ihren großen Bruder einschlugen. Die Mutter war pummelig und weißblond gefärbt, hatte aber ein nettes Gesicht. Obwohl es so noch früh war, hatte sie sich bereits geschminkt. Sie war zwischen dreißig und vierzig. Obwohl sie die Kabine ohne Mantel betreten hatte, stand ihr bereits der Schweiß auf der Stirn. Ihre üppigen Rundungen hatte sie in ein ärmelloses,
wadenlanges Jeanskleid gezwängt, unter dem sie ein weit ausgeschnittenes rosa T-Shirt trug. Sie versuchte ihre Sprösslinge mit Drohungen zur Ruhe zu ermahnen. Sie würden weder im Pool baden dürfen und auch kein Eis und keine aufblasbaren Tiere bekommen, wenn sie nicht damit aufhören würden. Ihre Söhne kümmerte das nicht sonderlich. Zum Schluss war der Lärm fast unerträglich. Der Vater saß auf der anderen Seite des Mittelgangs und las Zeitung.
Erst als die Anzeige, die zum Tragen des Sicherheitsgurtes aufforderte, erlosch, wurde es endlich still. Irenes Sitznachbarn seufzten erleichtert auf.
Irene entdeckte Kriminalinspektor Juan Rejón sofort, und da war sie nicht die Einzige. Die meisten Frauen in der Ankunftshalle und sogar etliche Männer betrachteten den Polizisten, der ein kleines Schild in der Hand hielt, auf dem mit rotem Filzstift »Ms. Huss« geschrieben stand. Ihm schienen die Blicke nicht weiter aufzufallen, oder er war sie gewohnt, und sie kümmerten ihn nicht weiter. Leicht breitbeinig stand er da und betrachtete gelassen den Menschenstrom, der aus der Zollkontrolle kam. Sein dunkelblaues Hemd saß perfekt an seinem durchtrainierten Oberkörper. Die imposanten goldenen Streifen seiner Schulterklappen zogen die Blicke ebenfalls an. Auf dem Kopf trug er eine dunkelblaue Schirmmütze mit einem goldenen Abzeichen. Als Irene näher kam, erkannte sie die Buchstaben PN: Policía Nacional. Er hatte hohe Wangenknochen und einen
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