Die Tote im Keller - Roman
wohlgeformten Mund. Auf Wangen und Kinn war der Schatten eines kräftigen Bartwuchses auszumachen. Seine Augen waren sehr dunkel, und er hatte lange Wimpern und markante Brauen. Das dichte braune Haar, das unter seiner Mütze hervorschaute, lockte sich im Nacken. Meine Güte, sie würde sich von einem männlichen Fotomodell eskortieren lassen! Seine Haltung verriet, dass er mehr war als nur ein gewöhnlicher Streifenpolizist. Wenn man seinen Rang berücksichtigte, musste er um die dreißig sein, aber er sah jünger aus. Inspektor Juan Rejón war ein sehr gutaussehender Mann.
Lächelnd trat Irene auf ihn zu. Er erwiderte ihr Lächeln und reichte ihr die Hand. Sie stellten sich einander vor, und Irene bemerkte, dass sie ein paar Zentimeter größer war als er. Amüsiert registrierte sie die eifersüchtigen Blicke der anderen Frauen um sie herum.
»Ich fahre Sie zuerst zum Hotel Golden Sun Club. Dort können Sie zu Mittag essen und sich etwas ausruhen. Ich hole Sie dann um vier Uhr dort ab«, sagte er und erbot sich gleichzeitig, eine ihrer Taschen zu tragen.
Sie lehnte freundlich ab, da sowohl die Computertasche, die sie über der Schulter trug, als auch der Rucksack nicht besonders schwer waren. Er trat vor ihr durch die automatischen Glastüren. Laut dem Thermometer, das in der Ankunftshalle hing, hatte es draußen 25 Grad. Die Hitze schlug ihr entgegen, als sie aus der Tür trat. Fast hätte sie nach Luft schnappen müssen. Natürlich war es der Temperaturunterschied von dreißig Grad, der ihr zu schaffen machte. Es dauerte eine Weile, bis sie den Wind bemerkte, der ihr durchs Haar fuhr. Er war sehr angenehm. Auf der anderen Seite der Straße wuchsen hohe Palmen, deren Wedel in der Brise raschelten. Plötzlich hatte sie das Gefühl, eine ganz normale Touristin zu sein.
»Wie war die Temperatur, als Sie Schweden verließen?«, fragte Inspektor Rejón mit der Andeutung eines Lächelns.
Er hatte gemerkt, dass seine große Kollegin aus Schweden vor der Tür des Abfertigungsgebäudes stehen geblieben war und ein paarmal tief durchgeatmet hatte. Anschließend hatte sie die Augen geschlossen und ihr Gesicht instinktiv der Sonne zugewandt.
»Fünf Grad minus. Dazu eine Menge Schmelzwasser, das über Nacht zu Eis gefroren ist«, antwortete sie immer noch mit geschlossenen Augen und der Sonne zugewandt.
Sie suchte in ihrer Jackentasche, fand ihre Sonnenbrille und setzte sie auf. Zumindest sah man jetzt die Ringe um ihre Augen nicht mehr. Im Hotel wollte sie duschen und sich mit ihren Wundercremes einschmieren.
Inspektor Rejón schüttelte den Kopf.
»Wie kann man in so einem Klima leben? Fürchterlich! Obwohl das natürlich ein Glück für uns ist. Alle verfrorenen Skandinavier kommen im Winter hierher, um zu sonnen und sich aufzuwärmen. Das restliche Nordeuropa im Übrigen auch«, meinte er und schenkte Irene ein strahlendes Lächeln.
»Wenn ich das recht verstanden habe, ist das einer der Gründe, warum ich hier bin. Ihr Chef de Viera äußerte meinem Chef gegenüber die Besorgnis, dass die Morde dem Tourismus schaden könnten«, sagte Irene in unbeschwertem Ton.
Inspektor Rejón antwortete nicht, sondern ging auf ein Polizeiauto zu, das auf einem reservierten Platz mit dem Schild »Policía« stand. Irene sah ihn von der Seite an. Seine Züge waren wie versteinert. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Und wenn ja, was?
Er hielt ihr die Tür auf der Beifahrerseite auf und ließ sie einsteigen, ehe er sie, wie Irene fand, unnötig laut zuknallte. Seine Reaktion konnte kaum an ihrem Kommentar liegen. Es musste mehr dahinterstecken. Sie hatte schließlich nur die Gründe wiederholt, die de Viera genannt hatte. Irene war fest entschlossen herauszufinden, was Rejóns plötzlichen Stimmungsumschwung verursacht hatte.
Ein paar Minuten lang saßen sie schweigend im Auto, während sie das kahle Flugplatzareal verließen. Nach einer Weile tauchten Palmen und hohe Kakteen am Straßenrand auf.
»Es wäre mir sehr recht, wenn Sie mir jetzt von den Morden berichten könnten. Ich weiß bislang nur, dass drei Menschen offensichtlich einer Abrechnung in der Unterwelt zum Opfer fielen«, meinte Irene freundlich, als sei ihr der Stimmungsumschwung ihres Kollegen nicht aufgefallen.
Inspektor Rejón war gerade auf die Autobahn eingebogen, die laut Schild nach Los Christianos und Playa de las Américas führte. Er schwieg lange und sagte dann:
»Natürlich haben die Zeitungen einiges geschrieben. Soweit wir wissen, nahm alles mit
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