Die Tote im Maar - Eifel Krimi
durch und nahm meine Hände wieder runter. Es würde nichts besser machen, und eingebildetes Glockengeläut folgte ohnehin keinen rationalen Regeln.
Aber das Schluchzen begleiteten keine Bilder, die mich in eine andere Welt versetzten. Es erklangen auch keine Glocken, was mir sagte, dass da wirklich jemand weinte.
Wie mutig bist du?, fragte ich mich und öffnete langsam die Tür.
Es waren keine Kerzen, nur die trübe Kirchenbeleuchtung und das Licht einer Taschenlampe.
Da saß jemand an Katharinas Sarg. Die Gestalt hatte das Türgeräusch nicht gehört, dafür wirkte mein riesenhafter Schatten bedrohlich. Die Person wandte den Kopf in meine Richtung. Blankes Entsetzen zeichnete die Züge meines Gegenübers. Als Nächstes ertönte ein gellender Schrei, dem ein komisches Gurgeln folgte. Die Gestalt sank auf den Steinplatten zusammen, und ich hörte nur noch ein leises Wimmern. Ich trat näher.
Als ich den Jungen berührte, schrie er wieder auf. Wofür hielt er mich? Er war in jedem Fall aus Fleisch und Blut, was mich erleichtert ausatmen ließ.
»Wir haben uns grade gegenseitig erschreckt, oder?«, versuchte ich die Situation etwas zu entspannen.
Dann tat er etwas Eigenartiges. Er fiel auf die Knie, als erwarte er eine Strafe. Es musste in seiner Vorstellung eine fürchterliche Strafe sein, denn er faltete die Hände und hielt sie mir bittend entgegen.
»Ich wollte Sie nicht töten … das wollte ich nicht. Es tut mir leid, es tut mir so leid.« Verzweifelt.
Katharina töten? Er war doch höchstens sechzehn. Dann begriff ich … Er meinte mich.
»Geister können durch Türen gehen, sie müssen sie vorher nicht erst öffnen«, sagte ich. »Ich glaube auch nicht, dass Geister einen Schatten werfen. Mein Name ist Isabel Friedrich, und das ist Katharina, meine Mutter.« Wie einem verwirrten Kind versuchte ich ihm zu erklären, dass das ein hinreichender Grund war, sich in dem Maße ähnlich zu sehen.
»Komm hoch, der Boden ist eiskalt.« Ich streckte eine Hand aus und hoffte, er würde danach fassen. Es war die mit dem Schnitt. Ich ignorierte den Schmerz, denn er nahm sie.
Er sah vollkommen verheult aus, was für einen Jungen seines Alters ungewöhnlich war, darum verlor ich kein Wort darüber.
»Sie lügen«, sagte er schlicht. Der große dunkelhaarige Junge schlug die Augen nieder, und ich befürchtete schon, dass es erneut losging. Ich hatte einen wirklich harten Tag gehabt, das sagte ich ihm auch. Mir reichte es allmählich.
»Was hätte ich für ein Interesse, dich anzulügen?«
»Keine Ahnung. Sie kann jedenfalls nicht Ihre Mutter sein!«, rief er und berührte den Sarg.
»Katharina ist siebenundvierzig Jahre alt, und hättest du neunzehn davon an einem Ort verbracht, an dem es keinen Sauerstoff gibt, würde sich deine Leiche auch nicht zersetzt haben.«
Muss das sein?, fragte ich mich und beantwortete mir die Frage mit Ja. Ich war grausam, aber ich glaubte, dass ihm nur das half, um es zu verstehen. Wer war er überhaupt?
»Mit wem unterhalte ich mich hier eigentlich?«
»Unterhalten nennen Sie das?« Jetzt stieß er ein kehliges Lachen aus. »Ich heiße Christoffer Lehnert. Freut mich irgendwie, Sie kennenzulernen.« Er nickte mir zu und fuhr sich über die Augen.
»Du hast gesagt, du hättest sie umgebracht.«
Er nickte, dann legte er seine Hand auf den Sarg.
»Ich bin sicher eingeschlafen, und wenn ich aufwache, ist alles wieder genauso schrecklich, und sie ist immer noch tot.«
»Sie ist schon sehr lange tot. Und du kannst sie nicht getötet haben.«
»Seit der Sache war ich schon ein paarmal auf dem Friedhof und hab versucht, mich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Aber die Gräber sind einfach nur das – Orte, an denen unter der Erde Körper allmählich vergehen. Es ist friedlich hier, aber auch verdammt still.«
Ich ließ ihn reden, obgleich ich nicht glaubte, das würde ihm großartig helfen. Nicht jetzt, vielleicht ein wenig später.
»Alle denken, es war ein Beben, ein Vulkanausbruch oder so was Ähnliches. Aber ich war es. Ich hab eine Sprengladung gezündet, Dynamit. Und die alte Sophia war kurzzeitig verschwunden. Mein Vater hat erzählt, es hätte eine Tote gegeben. Die Alte kam aber quietschfidel wieder nach Hause. Wer war es dann? Als mein Vater gesagt hat, dass die Frau in der Kirche aufgebahrt liegt, wollte ich sie sehen. Darum ist es ein Traum.«
So einfach. Wenn ich das doch auch könnte. Aber Christoffer fürchtete sich vor dem Aufwachen, so wie ich mich vor den Bildern
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