Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
wir eben Beweise.« Sophies Miene verriet Entschlossenheit. »Irgendetwas muss es doch geben, was ihn überführt.«
»Und wo willst du suchen?«, fragte Julius und hob eine Augenbraue. »Fuchs hat keinen festen Wohnsitz. Er kann überall sein.«
»Irgendeinen Hinweis wird es schon geben! Notfalls suchen wir bei Doktor Wittgen. Du sagst doch selbst, dass die beiden miteinander zu tun haben.«
»Ich glaube kaum, dass Wittgen dich einfach so in sein Haus lässt.«
»Dann nehmen wir eben den Seiteneingang oder ein Fenster.«
»Das ist ein dummer Vorschlag«, schüttelte Julius den Kopf. »Wenn wir Pech haben, bringt uns das mehr Ärger als Erfolg ein.«
»Aber …
»Kein Aber. Ich habe deiner Mutter versprochen, auf dich zu achten, und deshalb verbiete ich dir, bei Wittgen einzubrechen.«
Für einen Moment meinte er, dass Sophie noch einmal widersprechen wollte, aber dann presste sie die Lippen aufeinander und warf einen flüchtigen Blick zu Lotte, die die Auseinandersetzung regungslos verfolgt hatte.
»Wir müssen trotzdem etwas tun«, wandte Wilhelm ein. »Wenn wir keinen Beweis finden, wird die Hexe …
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Onkel Hugo stolperte herein. Sein grobes Gesicht war bleich, und seine Stimme überschlug sich vor Aufregung. Wild gestikulierend deutete er nach draußen. »Schnell, Sophie, Julius! Die Hexe! Sie wollen sie töten. Sie gehen jetzt los!«
»Langsam!«, versuchte Julius ihn zu unterbrechen. Er legte eine Hand an Hugos Arm, und tatsächlich schien sich der Hüne ein wenig zu beruhigen. »Nun noch einmal – was ist geschehen?«
»Die Leut! Die wollen die Hexe töten!« Hugo schluckte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Sie sind gerade losgegangen zum Gefängnis! Sie wollen sie oben aufhängen!«
»Ist denn in diesem verfluchten Dorf hier nicht ein Funken Licht angekommen, als man die Fackel der Aufklärung durch Europa getragen hat?« Julius ließ Hugo los. Mit zwei Schritten war er bei der Tür. »Ich muss dahin. Vielleicht kann ich sie zur Vernunft bringen.«
»Ich suche meinen Bruder«, sagte Lotte bestimmt und erhob sich eilig. »Sophie, ihr bleibt hier und rührt euch nicht von der Stelle, verstanden?«
Julius sah noch aus den Augenwinkeln, wie Sophie widerwillig nickte, dann war er auch schon draußen und eilte, gefolgt von Lotte, die steilen Stufen hinab. Hoffentlich kam er noch rechtzeitig.
Sophie wartete, bis die Schritte auf der Treppe verklungen waren, dann wandte sie sich an Wilhelm. »Kommst du mit?«
»Wohin?«
»Zu Wittgen.« Sophie lächelte verschwörerisch. »Ich wette, Fuchs ist dort.«
»Wie kommst du darauf?«
»Seine Schwester wurde ermordet. Wenn er Rache nehmen will, gibt es vermutlich keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, da die halbe Stadt in Aufruhr ist.«
Wilhelm verzog den Mund, der Unwille war ihm deutlich anzusehen. »Du bist wahnsinnig.«
»Ich weiß«, grinste Sophie und wollte ihm schon einen Kuss auf die Wange geben, bemerkte dann aber den Blick der Großmutter und schlug verschämt die Augen nieder. »Du verrätst uns nicht, Großmutter?«
Die alte Frau, die bis jetzt schweigend an ihrer Stickerei gearbeitet hatte, schmunzelte verschmitzt. »Geht schon und bringt den Wolf zur Strecke.«
*
Sie rannten die Gassen hinab zur Barfüßerstraße. Aus der Ferne hörten sie die Geräusche einer aufgebrachten Menschenmasse, Stimmen und Geschrei, aber sie waren zu weit entfernt, um zu verstehen, was sie riefen. Hoffentlich schaffte es Julius, die Leute aufzuhalten, betete Sophie stumm. Sie fühlte sich dafür verantwortlich, dass Maria Dörr um ihr Leben bangen musste, vermutlich hätte sich niemand um die alte Frau geschert, wenn sie sie nicht verdächtigt und die Polizey mit ihrem unbedachten Ausflug zum Frauenberg geführt hätte. Mochte die Alte auch eine Engelsmacherin sein, sie sollte nicht für etwas büßen müssen, was sie nicht getan hatte.
Als sie die Stelle erreicht hatten, an der die Wendelgasse in die Barfüßerstraße mündete, hielt Sophie an und linste vorsichtig aus dem Schatten hinaus die überraschend ausgestorbene Straße entlang. Eine einsame Katze hockte auf einem Fass vor einer Wirtschaft, und hinter einem Fenster auf der anderen Straßenseite drang der lautstarke Streit eines Ehepaares. Auf dem Dachfirst hockten stumm und düster die Krähen.
»Wie sollen wir hineinkommen?«, keuchte Wilhelm. Obwohl sie nicht weit gelaufen waren, ging sein Atem schwer und
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