Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
meinte, man müsste es in ganz Marburg hören. Mit angehaltenem Atem hielt sie inne und lauschte in die Stille, doch das Rasen ihres eigenen Herzen war alles, was sie vernahm. Ruhig bleiben, beschwor sie sich. Wenn Gott es gut mit ihr meinte, fand sie schnell, was sie suchte. Es musste hier etwas geben, womit sie Fuchs überführen konnte.
Die Kellertreppe führte in die Küche, die verwaist dalag. Das Feuer in der Kochstelle war erloschen. Wahrscheinlich hatte Wittgen noch keinen Ersatz für Greta gefunden und speiste im Wirtshaus. Sophies Blick glitt über das Regal mit den Gewürzen, und für einen kurzen Moment spielte sie mit dem Gedanken, dort nach dem Gift zu suchen, kam aber gleich wieder davon ab. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Fuchs das Gift so offenkundig aufbewahrt hätte. Wahrscheinlich hielt er es irgendwo versteckt, wo nur er Zugang hatte. Oder wo es für ihn nicht gefährlich war, sollte es gefunden werden.
Nachdenklich ging Sophie die Möglichkeiten durch, wo ihr Vater etwas deponiert hätte, was er vor dem Rest der Familie geheim halten wollte. Das Schlafzimmer war ein schlechter Ort, dort putzte die Magd und ihre Mutter ordnete zum Frühling und zum Herbst die Wäsche. Aber die Bibliothek war Käthe verschlossen gewesen, und wenn ihr Vater sich dorthin zurückgezogen hatte, verlangte er selbst von seiner Frau und seinen Töchtern anzuklopfen. Sie konnte sich vorstellen, dass Doktor Wittgen es ähnlich hielt. Und wenn jemand das Gift dort entdeckte, würde der Verdacht auf den Doktor zurückfallen. Das Studierzimmer musste es sein!
Mit angehaltenem Atem bewegte sich Sophie hinauf in die oberen Kammern. Der abgestandene Gestank von Pfeifentabak wehte aus der Stube zu ihr herüber. Holzdielen knarzten unter Sophies Schritten, aber das Geräusch beruhigte sie mehr, als dass es sie ängstigte. Sie war allein, da war sie sich inzwischen sicher, und wenn das Haus zu ihr sprach, fühlte sich das beruhigend an.
Das Studierzimmer befand sich im zweiten Stock über der Stube. Es war weitläufiger als die Bibliothek ihres Vaters, mit hellen Fenstern, die nach Süden hinausgingen, niedrigen Deckenbalken und einem großen Schreibtisch in der Mitte des Raumes. An den Wänden reihten sich Regale mit Büchern, die jemand akkurat nach Größe sortiert und mit Zettelchen beschriftet hatte. Auf dem Tisch stand ein Tintenfass mit einem Sandstreuer, davor lagen einige Bogen Papier, die fein auf Kante geschoben waren, wie Sophie erstaunt feststellte. Sie wusste von Helene, dass Wittgen ein ordnungsliebender Mensch war, aber sie hätte nicht gedacht, dass er so penibel war.
»Versteck, Versteck … Wo könnte er es nur versteckt haben?«, murmelte sie. Zögerlich trat sie vor die Regale und zog wahllos zwei Bücher hervor, um mit der Hand den Platz zwischen Buchreihen abzutasten. Staub klebte an ihren Fingerspitzen, als sie die Hand zurückzog und die Bücher wieder in die Lücke schob. Hier war nichts, aber die Idee war gut. Sie musste darauf achten, wo in letzter Zeit Bücher gerückt wurden.
Ihr Blick glitt über die Buchreihen, als sie erschrocken zusammenfuhr. Da war ein Geräusch gewesen, ein Klappen, wie das Zuschlagen einer Tür. Sophies Hals wurde eng, während sie angestrengt lauschte. Vielleicht war es auch nur der Wind, der in ein offenes Fenster gefahren war, versuchte sie sich zu beruhigen. Da war nichts, nur Stille und von draußen das gedämpfte Keckern einer hungrigen Ziege.
Nur zögernd wagte sie, wieder auszuatmen. Sie hatte wohl zu viele Geschichten von Hexen und Wölfen gehört, dass ihr ihre Fantasie schon Streiche spielte. Hier war nichts, nur ein Raum, in dem lange nicht mehr geputzt worden war.
Langsam ging sie an den Regalen entlang und hielt aufmerksam nach Spuren im Staub oder Buchrücken Ausschau, die nicht korrekt eingereiht waren. Wofür immer auch Doktor Wittgen eine Bibliothek unterhielt, er schien nicht viel zu lesen, ging Sophie durch den Kopf, als sie auch das letzte Regal durchgesehen hatte, ohne dass ihr irgendetwas aufgefallen wäre. Doch wo könnte er hier sonst etwas versteckt haben? Ihr Blick glitt ratlos durch die Kammer, bis er sich plötzlich an dem Schreibtisch fing. Oder besser an dem, was dahinter lag.
Erschrocken prallte Sophie zurück, fand Halt an einem der Regale. Zwei Bücher fielen hinaus, stürzten mit lautem Krach zu Boden.
Sophie meinte, ihr Herz bliebe stehen. Mit zusammengekniffenen Augen stand sie da und wartete, dass etwas geschah, das Haus
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