Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
einzufinden.
»Julius!«
Sophie winkte und sprang von dem Mäuerchen, auf dem sie gesessen hatte. »Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr heraus«, lächelte sie, als sie vor ihm stand. »Ich habe vorhin geklopft, aber dieses dicke Hausmädchen hat mich wieder fortgeschickt.«
Vermutlich war es Berte zu anstrengend gewesen, ihn zu wecken, dachte Julius grimmig. Noch ein Punkt, der sich ändern musste. »Sophie. Wie nett. Wieso wolltest du denn zu mir?«, fragte er.
»Ich will dich fragen, was du über Helenes Tod herausgefunden hast.«
»Warum interessiert dich das?«
»Weil ich sicher bin, dass sie nicht ertrunken ist.«
»Dann sind wir zumindest zwei«, bemerkte Julius trocken. »Ich denke trotzdem nicht, dass du dir den Kopf darüber zerbrechen solltest. Geh nach Hause, ehe du dich erkältest.« Er machte mit der Hand eine scheuchende Geste und wollte schon an ihr vorbeigehen, aber sie stellte sich ihm mit einer schnellen Bewegung in den Weg.
»Ich habe den halben Vormittag gewartet, und ich bin nicht hier, um mich wieder nach Hause schicken zu lassen.« Ihr Lächeln war ebenso zuckersüß wie aufgesetzt und verbarg ihren Ärger kaum. »Sag mir wenigstens, was du herausgefunden hast. Eher gehe ich nicht.«
Julius hob irritiert eine Braue. »Ist das eine Drohung?«
»Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.« Sie hielt seinen Blick, reckte das spitze Kinn herausfordernd. »Ich hatte eigentlich gehofft, dass du mir hilfst.«
»Wobei helfen?«
»Ich will herausfinden, was Helene zugestoßen ist. Was immer es war, ich bin mir sicher, dass es kein Unfall war. Helene war vorsichtig, fast ängstlich. Sie hätte sich niemals bewusst in Gefahr begeben.«
Julius zögerte einen Moment, dann fasste er Sophie am Arm und zog sie von der belebten Straße weg in eine Seitengasse. Eigentlich wollte er sie aus der Sache heraushalten, aber vielleicht konnte sie ihm helfen.
»Du kanntest Helene Wittgen doch gut. Könnte es denn sein, dass sie freiwillig ins Wasser gegangen ist?«, fragte er sie eindringlich.
»Nein, das hätte sie niemals getan.« Sophie schüttelte den Kopf, sodass die kurzen Locken flogen. »Sie hätte ihr Leben nicht einfach weggeworfen.«
»Glaub mir, es gibt wenig zwischen Himmel und Erde, was dem menschlichen Wesen fremd wäre«, sagte Julius nüchtern. »Weiß du, ob sie ein Kind getragen hat?«
Sophie schaute entsetzt. »Helene? Nein.«
»Was macht dich da so sicher?«
»Sie hätte es mir gesagt. Sie hat mir alles erzählt, was sie beschäftigt.« Sophie seufzte, wandte kurz den Kopf, als von der Wettergasse her Unruhe aufkam. »Ich glaube, sie hatte keine andere Freundin seit ihrem Umzug von Kassel hierher nach Marburg.«
Julius blieb skeptisch, aber er sah ein, dass er nicht weiterkam. Auch hier wäre eine Obduktion hilfreich gewesen. Er musste dringend mit diesem Doktor Wittgen sprechen. Vielleicht rückte dieser von seiner ablehnenden Haltung ab, wenn Julius ihm die Notwendigkeit deutlich vor Augen führte. Der Mann musste doch ein Interesse daran haben, den Mord an seiner Tochter aufzuklären!
Julius ließ Sophies Arm los, richtete sich auf. »Ich muss weiter. Richte deiner Mutter meine Grüße aus«, verabschiedete er sich mit einem knappen Nicken. »Ich werde euch besuchen, wenn Zeit ist.«
»Warte!« Sophie fasste ihn am Rockärmel, ließ diesen aber sofort wieder fahren, als er ihr einen erbosten Blick zuwarf. »Du hast mir noch nicht geantwortet. Was hast du herausgefunden?«
Julius verdrehte innerlich die Augen, blieb aber stehen. »Ich habe fast nichts herausgefunden«, erklärte er barsch. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht ertrunken ist, und ich weiß, dass sie nicht von einem Wolf gerissen wurde. Der Herr Oberschultheiß und die Herren Professoren sind sich aber anscheinend sicher genug, um die Sache nicht weiter zu verfolgen.«
Sophie runzelte die Stirn, zog dann ärgerlich die feinen Brauen zusammen. »Du meinst, sie lassen nicht nach dem Mörder suchen?«
»Anscheinend nicht. Einen Mörder gibt es nur, wenn man von einem Mord ausgeht. Das tut man nicht, also erübrigt sich die Suche.«
»Und was hast du nun vor? Willst du noch einmal mit dem Hille sprechen? Oder mit deinem Vater? Vielleicht könnte er …
»Ich bin kein kleiner Junge, der Hilfe braucht, wenn man ihm nicht gibt, was er will«, unterbrach Julius sie gereizt. »Im Übrigen ist das ohnehin nicht deine Angelegenheit. Grüß deine Mutter von mir und geh nach Hause.«
Ungerührt blickte
Weitere Kostenlose Bücher