Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Titel: Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
spöttischen Bemerkung beiseite wischte, konnte Julius nicht ertragen. In seinem ersten Jahr in Köln hatten ihn die Erinnerungen an seine Abreise noch verfolgt, eine unerfreuliche Szene voller böser Worte, und es war ihm bewusst gewesen, dass er die gelegentlichen Geldsendungen vor allem dem Zuspruch seiner Mutter zu verdanken hatte. Sie war es auch, die über all die Jahre durch ihre Briefe zumindest einen Teil von ihm mit Marburg verbunden gehalten hatte.
    Ein Diener, den er nicht kannte, öffnete ihm und führte ihn hinauf in die Stube, in der alles noch genauso war, wie Julius es im Gedächtnis behalten hatte – die verputzten Balken, die die Decke höher erscheinen ließen, als sie war, die Fenster zum Markt mit den Lichtern darin, der ausgestopfte Wolfskopf neben der Tür, der ledrige Geruch des alten Lesesessels … sogar Klappohr, der halb blinde Hund seiner Mutter, lebte noch und humpelte ihm schwanzwedelnd entgegen.
    »Du kommst spät«, bemerkte sein Vater anstelle einer Begrüßung. Er legte das Buch beiseite, in dem er geblättert hatte, und erhob sich. Auch an ihm schienen die Jahre nahezu spurlos vorbeigegangen zu sein, nur die straffe Weste über dem Bauch hatte sich ein klein wenig mehr gewölbt, was bei seiner ansonsten hageren Statur fast grotesk wirkte. Die aschroten Harre trug er streng nach hinten gekämmt, grauer war er geworden. Er schob den Kneifer auf der Nase zurecht, während er Julius mit hochgezogenen Brauen musterte. »Gibt es einen Grund?«
    »Keinen, den es lohnt anzuführen«, gab Julius steif zurück. »Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Vater. Mutter, Hermann, Louise«, nickte er den übrigen Familienmitgliedern zu, die an einem kleinen Tisch saßen und in ihrem Kartenspiel innegehalten hatten. »Ich bedanke mich für die Einladung.«
    »Und ich freue mich, dass du dich hier endlich blicken lässt, Struwwel«, grinste Hermann und sprang auf, um Julius in die Arme zu schließen. Er drückte ihn für einen Moment an sich, sodass Julius sich zwingen musste, nicht nach Luft zu schnappen. Dann ließ er ihn wieder los und betrachtete ihn, den Mundwinkel spöttisch gehoben. »Mein Gott, Julius, gibt man den Ärzten in Paris nichts zu essen?«
    »Ausreichend und schmackhaft. Danke für deine Sorge«, antwortete Julius gequält. Hermann war immer schon der kräftigste der Brüder gewesen, ausgestattet mit Schultern, die einem Schmied zur Ehre gereicht hätten. Julius hingegen hatte die Statur seines Vaters geerbt, den hageren, fast schlaksigen Körperbau mit langen Fingern und einem zu großen Kopf, als habe er den Sprung vom Jüngling zum Mann nie ganz vollzogen. Julius verspürte einen neidvollen Stich, als er gewahr wurde, dass Hermann nicht einmal mit der für die Familie so typischen Kurzsichtigkeit geschlagen war, die ihn selbst bereits seit seinem zwanzigsten Lebensjahr zwang, eine Brille zu tragen. »Es freut mich, dich wiederzusehen. Dir geht es gut?«
    »Könnte nicht besser sein.« Hermann grinste breit und schob Julius herum, sodass er die beiden Frauen begrüßen konnte. »Ich gehe bald nach Heidelberg. Und Louise erwartet im Frühjahr ein Kind. Schade, dass ich nicht eher von deiner Rückkehr erfahren habe, sonst hätte ich dich gebeten, Pate zu sein.«
    »Ihr werdet noch genug Kinder bekommen, dass sich eine Gelegenheit bietet«, antwortete Julius und nickte seiner Schwägerin höflich zu. Die Tochter eines Offiziers aus Kassel, wusste er aus den Briefen, die seine Mutter ihm geschrieben hatte, und bildschön, wie er neidvoll zugeben musste. Aber Hermann hatte immer schon einen besonderen Schlag bei den Frauen. Julius suchte noch nach einen höflichen Kompliment, doch sein Vater kam ihm zuvor.
    »Das Essen wird kalt. Wir gehen jetzt rüber.« Mit einer knappen Geste gebot er, ihm zu folgen.
    Julius wollte sich Hermann und Louise anschließen, blieb aber in der Tür zurück, um auf seine Mutter zu warten, die noch die Karten zusammenräumte. Sie war nie eine große Frau gewesen, doch das Alter schien sie schrumpfen zu lassen. Graue Strähnen zogen sich durch ihr dunkles Haar, und die Falten um Mund und Nase traten deutlicher hervor, als Julius es in Erinnerung hatte. Als sie den Blick hob, huschte ein flüchtiges Lächeln über ihr Gesicht und verlieh ihm für einen kurzen Moment einen Hauch der vertrauten Wärme. »Lass deinen Vater nicht warten, Julius.«
    »So viel Zeit, Sie zu begrüßen, muss sein«, schüttelte Julius den Kopf und umarmte sie zögerlich, eine Geste, die er

Weitere Kostenlose Bücher