Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
getötet!«
»Das ist nicht wahr!« Hastig sprang Wilhelm zurück, um sich außer Reichweite zu bringen. Seine Knie zitterten, beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren. »Ich will herausfinden, was mit ihr geschehen ist!«
Für einen kurzen Moment war es still, viel zu still, sodass Wilhelm sein eigenes, trommelndes Herz hören konnte. Dann erklang plötzlich ein tiefes Schluchzen, herzzerreißend und voller Verzweiflung. »Sie ist tot. Tot … «
»Das weiß ich.« Wilhelm zwang sich, beruhigend zu klingen, auch wenn sich seine Stimme vor Anstrengung zu überschlagen drohte. »Und ich glaube, dass du etwas darüber weißt, wie sie gestorben ist. Bitte«, er machte einen unsicheren Schritt auf Hans zu. »Rede mit mir!«
Das Schluchzen erstarb, und für einen Moment frohlockte Wilhelm, ihn überzeugt zu haben. Doch plötzlich riss Hans mit einem bedrohlichen Zischen die Planke hoch und hätte Wilhelm am Kinn getroffen, wenn dieser nicht geistesgegenwärtig einen Schritt nach hinten gemacht hätte, der ihn ins Straucheln brachte. Hart schlug Wilhelm auf dem Pflaster auf, voller Panik versuchte er, zur Seite zu krabbeln, um dem nächsten Schlag zu entkommen.
Doch der blieb aus. Das Holz fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, dann entfernten sich Hans’ Schritte eilig. Bereits nach wenigen Metern hatten sie sich im Nebel verloren.
Wilhelm rappelte sich mühsam auf und rieb sich die schmerzende Seite. Sein Herz rumpelte immer noch in seiner Brust, und sein Atem ging stoßweise. Wie lange würde es noch dauern, bis er sich nicht mehr bei jeder Anstrengung fühlte wie ein schwaches Kind? Die Begegnung mit Hans hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, aber vielleicht wusste Sophie etwas mit den seltsamen Andeutungen anzufangen. Sie kannte diesen unheimlichen Vogel vermutlich besser als er.
Leise Verwünschungen ausstoßend humpelte er zurück zum Gasthaus.
*
Die Nacht hatte dem Wald jegliche Farbe geraubt. Schwarz und düster reckten die Bäume ihre kahlen Äste gen Himmel. Nebelschwaden zogen dazwischen umher und fingen sich in dürren Büschen. Stille umfasste den Wald, kein Eulenruf, nicht einmal ein Säuseln der Fichtenwipfel, die sich im Wind sacht hin und her bewegten. Nur das Klopfen seines Herzen, unnatürlich laut und hämmernd, als wollte es die Beklemmung herausschreien, die ihn umfasst hatte. Er kannte diesen Wald nicht, diesen finsteren Ort, der aus einem Albtraum geboren schien und mit Vernunft nicht zu fassen war. Moos rankte von Zweigen hinab, bewegte sich leicht im Wind. Fröstelnd drückte er die Arme um sich, machte ein paar Schritte in eine Richtung, ohne dass er wusste, wohin er sich wenden sollte. Eisige Finger schienen nach ihm zu haschen, strichen über seinen Nacken, berührten sein Gesicht, als er herumfuhr. Doch um ihn herum blieb nur Dunkelheit, die ihn erdrückte in ihrem Schweigen. Er hörte seinen eigenen Atem, sah den feinen Dampf, der vor seinem Gesicht aufstieg. während er den Kopf herumwarf, verzweifelt nach einem Weg hinaus aus diesem Albtraum suchte. Doch es gab keinen Weg hinaus, er war gefangen in dieser düsteren Natur, die sich aus seinen Ängsten nährte. Die Schatten schienen zusammenzurücken, formten Mäuler und Ungetüme, Wesen, die es nicht geben durfte. Und dann hörte er es, ein leises Hecheln erst, fern noch, doch er wusste, dass es näher kam. Angst griff nach seinem Herzen, schrumpfte es auf einen winzigen, kalten Ballen, dessen Schläge wie Kanonendonner durch die Nacht dröhnten. Er wollte fort, doch er konnte sich nicht bewegen, stand wie festgewurzelt da, während die Furcht in seinem Hals emporkroch und ihm die Luft nahm. Und er wusste, dass es näher kam, er spürte den hitzigen Atem und den geifernden Rachen und …
Julius schrak hoch. Sein Atem ging flach und stoßweise, und für einen Moment fürchtete er, immer noch in der finsteren Traumwelt gefangen zu sein. Doch dann erkannte er hinter den drohenden Schatten die Balken der Dachkammer, und mit der Erkenntnis schienen sie zu schrumpfen, bis sie alles Bedrohliche verloren hatten und nur noch die grob gezimmerten Balken waren, an die er am Vorabend seine Notizen geheftet hatte.
Julius schlug die Decke zurück und setzte sich auf, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen und die Beklemmung abzuschütteln, die der Traum in ihm hinterlassen hatte. Immer noch zitternd erhob er sich und trat ans Fenster, um den Laden zu öffnen und kühle Nachtluft in die Kammer strömen zu lassen. Er
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