Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
verlassen?«
»Du darfst mich bei der Suche nach dem Mörder unterstützen«, verbesserte Julius, ohne eine Miene zu verziehen. »Du kennst die Menschen hier besser als ich. Im Gegenzug bleibst du nicht länger eingesperrt.«
»Ist das alles?« Noch immer traute Sophie der Sache nicht ganz. »Es gibt doch sicher einen Haken an der Sache.«
»Du hast mir zu gehorchen.« Julius rückte seine Brille zurecht und erhob sich. »Du kannst dich natürlich dagegen entscheiden. Für den Fall hat deine Mutter bereits Vorsorge getroffen. Also? Bist du einverstanden?« Ein wenig steif hielt er ihr die Hand hin.
Sophie zögerte, ehe sie einschlug. Es lag keine Begeisterung darin, aber es war die einzige Möglichkeit, den Knoten aufzubrechen, der sie an ihr Gefängnis band. Auch wenn die Aussicht, Julius’ Anweisungen folgen zu müssen, sie alles andere als begeisterte.
»Einverstanden.«
»Gut.« Julius zog die Hand zurück, seine Mundwinkel zuckten zu etwas, was vielleicht ein Lächeln sein mochte, wenn Sophie glauben könnte, dass er dazu in der Lage wäre. »Wir sollten als Erstes besprechen, wie wir weiter vorgehen wollen.«
*
Wilhelm rieb fröstelnd die Hände unter den Achseln, während er ungeduldig auf und ab ging, um sich warm zu halten. Ein eisiger Wind zog über die Wasserscheide und kroch mit ebenso eisigen Fingern unter Rock und Hemd. Immer wieder wanderte sein Blick zum Haus des Stadtphysikus, aber hinter den Fenstern rührte sich nichts.
Er war nach dem Treffen mit Sophie zunächst zur Vorlesung gegangen, hatte es dort aber nicht lange ausgehalten. Mit der Entschuldigung, ihm sei nicht gut, hatte er sich zurückgezogen und war in der Hoffnung zur Wettergasse geeilt, Julius oder wenigstens Doktor Hirschner anzutreffen. Ihnen wollte er eine Nachricht hinterlassen. Doch es war niemand zu Hause gewesen, nicht einmal die dicke Magd, also wartete er. Seitdem hatte die Ratshausuhr zweimal zur halben Stunde geschlagen, und er harrte immer noch aus.
Wilhelm hob die Hände vor den Mund, um vorsichtig warmen Atem zwischen die Finger fließen zu lassen. Auf was hatte er sich da eingelassen, verfluchte er sich in Gedanken selbst. Aber er musste Sophie helfen. In Gedanken hatte er mehrere Möglichkeiten durchgespielt, wie er sie aus ihrem ›Kerker‹ befreien könnte, nur um am Ende alles als albernen Tagtraum zu verwerfen. Er war kein glänzender Ritter oder Prinz, Sophie keine Jungfrau in Not und ihre Mutter keine finstere Hexe, die aus reiner Bosheit handelte. Im Grunde verstand er Lotte Dierlinger sogar. Als Sophie aus dem Fenster geklettert war, war ihm beinahe das Herz stehen geblieben, und einen Augenblick lang hatte er ernsthaft überlegt, einfach so zu tun, als habe er sie nicht bemerkt. Er mochte Sophie und er bewunderte ihren wachen Geist und ihren Mut, aber sie war unberechenbar in ihren Einfällen.
Etwas kribbelte in Wilhelms Nacken, das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Sein Blick glitt über die wenigen Passanten, die an ihm vorbeieilten, Dienstleute und Handwerksburschen. Niemand, der bei der Kälte freiwillig vor die Tür ging. Dann entdeckte er ihn.
Hans stand halb hinter einer Hausecke verborgen. Neben sich hatte er einen Korb mit Eiern abgestellt. Sein Gesicht wirkte ausdruckslos, leer, nur seine Augen wanderten finster zwischen dem Haus und Wilhelm hin und her.
Noch während Wilhelm mit sich rang, auf ihn zuzugehen und zu fragen, was er suchte, trafen sich ihre Blicke. Für einen Moment, der ihm wie eine Ewigkeit erschien, starrten sie einander an. Dann fuhr Hans herum, packte den Korb und schritt davon.
Wilhelm dachte nicht nach, als er ihm nachging. »He, warte mal!«
Hans drehte den Kopf und beschleunigte seine Schritte. Rücksichtslos stieß er die Leute beiseite, um sich Platz zu verschaffen. Empörte Aufschreie begleiteten ihn, während er sich nach links wandte und zwischen den Häusern verschwand.
Wilhelm fluchte innerlich und biss die Zähne zusammen. Er wusste, dass er es bereuen würde, aber er musste rennen, wenn er den Wirtsjungen einholen wollte. Ohne sich um die schimpfenden Mägde zu kümmern, hastete er die Straße entlang, bog dann in die steile Gasse hinab, die Hans eingeschlagen hatte. Früher hatte man hier einmal den Schmutz der Stadt den Hang hinab gespült, und Wilhelm musste acht geben, dass er auf der steilen Treppe nicht den Halt verlor. Seine Knie zitterten und seine Lungen brannten, während er hinabstürzte, dabei immer zwei Stufen nehmend. Hans war
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