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Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Titel: Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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nicht zufällig da gewesen, dessen war er sich sicher. Er durfte den Jungen nicht verlieren.
    Als er den Fuß der Treppe erreicht hatte, entdeckte er Hans noch, der in Richtung der Afföllerwiesen rannte. Wilhelm sandte ein stummes Gebet gen Himmel, während er die Beine in die Hand nahm und ihm folgte. Jakob würde ihn einen Narren schimpfen, und der war er wahrscheinlich auch, aber darüber wollte er gerade nicht nachdenken. Er musste Hans einholen und herausfinden, was der bei Doktor Hirschner wollte.
    Das Vorland der Lahn war jenseits der Elisabethkirche geprägt von Wiesen und Weiden, die jedes Jahr mehrmals vom Hochwasser überspült wurden. Jetzt im Spätherbst hatte sich ein grauer Schleier über das im Sommer so satte Grün gelegt, und die vereinzelten Bäume entlang des Flusses reckten ihre kahlen Äste anklagend in den Himmel. Leichter Regen hatte eingesetzt und schlug Wilhelm entgegen. Immer wieder blieb er stehen und hielt Ausschau nach dem Flüchtigen, hetzte ihm weiter nach, sobald er ihn ausgemacht hatte. Wilhelms Herz polterte vor Anstrengung, Schweiß trieb ihm aus allen Poren und klebte sein Hemd nass an den Rücken. Er wankte, als er erneut stehen bleiben musste und an einem Zaunpfahl Halt suchte, um nicht zu straucheln. Pumpend sog er Luft in die Lungen, während sein Blick umherflog. Aber Hans war verschwunden.
    Wilhelm wartete, bis sich sein Herz ein wenig beruhigt hatte und er wieder zu Atem gekommen war, dann löste er sich von dem Zaun und ging ein paar Schritte weiter, um sich umzuschauen. Hans konnte nicht einfach verschwinden, dazu war das Schwemmland am Fluss zu flach und zu übersichtlich. Er musste sich hier irgendwo versteckt haben.
    Ziellos lief Wilhelm weiter in Richtung Brücke. Im Sommer waren hier Leute unterwegs, Bauern, Reisende, Viehhirten, die er hätte fragen können, aber jetzt pfiff nur der Wind über die Weiden und am Himmel dräuten bereits dunkle Wolken. Es war eine Frage der Zeit, bis der Nieselregen in eine eisige Sturzflut überging. Wenigstens gab es keinen Nebel, dachte Wilhelm zynisch und nahm die letzten Schritte bis zur Lahn. Gurgelnd und lehmiggrau strömte der Fluss unter ihm hindurch, leckte an den Brückenpfeilern, als probte er, ob er die Brücke hinweg reißen könnte. Wilhelm blieb stehen und beugte sich über die Brüstung, um zu erkennen, ob sich Hans vielleicht unter dem Brückenbogen versteckt hatte. Doch da war nichts, nur schlammbesudelte Uferböschung und zwei einsame Enten, die dort unten Zuflucht gesucht hatten.
    Wilhelm wollte sich gerade aufrichten, als etwas seinen Hinterkopf traf und ihn mit Wucht nach vorne warf. Hart schlug er mit dem Kinn auf der Brüstung auf, dass es knirschte, und für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Instinktiv rollte er sich zur Seite, gerade noch rechtzeitig, ehe der Prügel ein zweites Mal auf den Stein krachte, genau an der Stelle, wo eben noch Wilhelms Kopf gewesen war.
    »Halt!«, brüllte Wilhelm, ohne genau zu wissen, wen er eigentlich meinte. Er versuchte wegzukommen, aber seine Beine gaben unter ihm nach, sodass er in die Knie sackte. Schwindel erfasste ihn, die Gestalt, die plötzlich vor ihm auftauchte, drehte sich vor seinen Augen. Wilhelm riss die Arme hoch. Ein greller Schmerz schoss durch seinen Arm, ließ ihn jäh aufschreien.
    »Schrei nur!«, hörte er den anderen durch zusammengebissene Zähne höhnen. »Geschieht euch Studentenpack recht!«
    »Hör auf!« Wilhelm warf sich zur Seite, rutschte auf den Knien hastig ein Stück, in der irrigen Hoffnung, dem nächsten Schlag entkommen zu können. Vielleicht hätte er sich zur Wehr setzen können, wenn er bei Kräften gewesen wäre. So hatte er genug damit zu tun, gegen die Dunkelheit anzukämpfen, die sich in seinen Geist schlich.
    Der nächste Hieb traf seine Schulter, und Wilhelm war, als würde ihm das Gelenk aus der Verankerung gesprengt. Wieder schrie er auf, kugelte zur Seite. Wegtreten, er musste Hans die Beine wegtreten, dachte er verzweifelt, aber ihm gelang nur ein ungezieltes Strampeln, dem der Angreifer mühelos ausweichen konnte. Wieder fuhr der Prügel auf ihn nieder, und Wilhelm fragte sich plötzlich voller Panik, ob der Kerl ihn etwa totschlagen wollte! Er hätte wissen müssen, dass mit Hans nicht zu spaßen war nach ihrem ersten Zusammenstoß. Welcher Dämon hatte ihn nur geritten, ihm einfach hinaus in die Auen zu folgen, wo ihn niemand hören würde?
    Erneut traf ihn das Holz, ein brüllender Schmerz raste durch sein Bein.

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