Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
einzusperren, bis ich tue, was dein Vater will. Da kann sie lange warten, und wenn ich bis an mein Lebensende hier oben gefangen sitze.«
»Der Anlass taugt nicht, dich zur Märtyrerin zu machen. Zieh dir etwas Anständiges an und dann komm in die Bibliothek. Wir müssen uns unterhalten.«
»Worüber sollten wir uns unterhalten?«, fuhr Sophie auf. »Du redest doch sonst auch nicht mit mir, selbst wenn ich dich darum bitte. Ich bin dir doch bestenfalls lästig!«
Damit hatte sie nicht unrecht, musste Julius sich eingestehen. Er hoffte, dass Lottes Angebot dieses Joch aufwog. »In der Bibliothek«, wiederholte er und öffnete die Tür. »Trödel nicht.«
Etwas flog gegen die Tür, kaum dass er sie hinter sich zugezogen hatte.
Sophie hatte die Hände zu Fäusten geballt, so fest, dass sich die Nägel in die Handballen bohrten, während sie ihm nachstarrte. Sie verstand nicht, was er von ihr wollte, und es schien ihm Vergnügen zu bereiten, sie im Unklaren zu lassen.
»Elender Hund!«, fuhr sie mit einem Fluch herum und kickte einen Stiefel wütend durch die Kammer. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihn in der Bibliothek warten zu lassen, bis er verrottete, doch die Neugier in ihr flüsterte ihr zu, sich wenigstens anzuhören, was er zu sagen hatte. Dass ihre Mutter sie nicht wie angekündigt nach Kassel zu ihrer Tante schicken wollte, war immerhin eine Aussicht, die auf Besseres hoffen ließ.
Sophie seufzte und blickte sich suchend nach ihrem Kleid um. Sie hatte vor Wut alles durchs Zimmer geworfen, nachdem Hugo sie eingesperrt hatte. Ihre Mutter hatte nicht einmal geschimpft, sondern nur angewiesen, sie festzusetzen, bis sie entschieden hätte, was nun geschehen sollte.
Offensichtlich war sie zu einer Entscheidung gekommen.
Sophie fand das Kleid unter einem Haufen anderer Wäsche neben Lisbeths Bett. Sie klopfte den Dreck notdürftig ab, ehe sie es überzog. Mit einem knappen Blick in den Spiegel überprüfte sie ihre Haare, die ihr vom Kopf abstanden wie die Stacheln eines Igels. Auf die Straße gehen konnte sie so nicht, aber Julius würde mit ihrem Anblick leben müssen. Die Lippen fest aufeinandergepresst, machte sie sich auf den Weg nach unten.
In der Bibliothek war es kalt, und der Geruch nach Staub und altem Papier lag in der Luft. Julius hatte den Tisch ans Fenster geschoben und las. Er schaute nicht auf, als sie eintrat und die Tür krachend hinter sich zuzog.
»Du hast keinen Grund, zornig zu sein«, bemerkte er und blätterte eine Seite um. »Also hör auf, die Medea zu spielen, und setz dich.«
»Ich habe jeden Grund«, fauchte Sophie und verschränkte die Arme. »Mutter sperrt mich ein, du behandelst mich wie ein kleines Kind … Verdammt, ich will Helenes Mörder finden, und das werde ich.«
»Hör auf zu fluchen. Und den Mörder finden will ich ebenfalls. Deshalb bin ich hier.« Julius strich mit der Fingerspitze über die Seite, die er gerade las, klappte das Buch zu und sah auf. »Setzt du dich nun endlich?«
Sophie lag eine Antwort auf der Zunge, aber sie schluckte sie herunter und zog den zweiten Stuhl heran. Missmutig ließ sie sich darauf fallen. »Dir ist Helenes Mörder doch vollkommen gleichgültig.«
»Mitnichten. Auch wenn ich womöglich aus anderen Gründen nach ihm suche als du. Helene war deine Freundin, nicht wahr?«
Sophie nickte. »Ich will, dass der Mörder zur Rechenschaft gezogen wird. Es darf nicht sein, dass man die Wahrheit verschweigt und so tut, als sei gar nichts geschehen!«
Julius nickte. »Genau das habe ich der Deputation und meinem Vater auch gesagt. Es ist jedoch ungünstig, wenn man Behauptungen aufstellt, obwohl man selbst noch im Nebel stochert. Ich habe mich mittlerweile viel zu weit aus dem Fenster gelehnt, als dass mir der Tod dieses Mädchens gleichgültig sein könnte. Du siehst, wir haben durchaus die gleichen Interessen.«
»Und was willst du von mir?« Sophie verschränkte die Arme. Misstrauisch musterte sie ihn. »Bislang hast du mich behandelt, als sei ich ein lästiges Insekt.«
»Deine Mutter hat mich gebeten, ein Auge auf dich zu haben.« Julius überging die Bemerkung, als habe er sie nicht gehört. »Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass sie dich nicht länger daran hindern will, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.«
»Du sollst … « Sophie riss die Augen auf, schüttelte dann den Kopf, um zu ordnen, was sie gerade gehört hatte. »Du bist also mein Kindermädchen, und dafür darf ich meine Kammer wieder
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