Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
was ist passiert? Zu meinem Entsetzen fing mich eine Delegation der Basis - meine Bobby-Kollegen - ab und forderte mich auf, mich dem Protest der Polizeigewerkschaft nicht nur anzuschließen, sondern ihn gleich anzuführen! Ziemlich aussichtslose Situation für einen hellen, jungen Kopf wie mich, auf der Schwelle zu einer neuen Karriere! Über Nacht kam ich in den Ruf, ein Unruhestifter zu sein, ein gefährlicher Mann …« Joe senkte die Stimme und fügte dramatisch hinzu: »Ein Agitator.«
Das Wort, wenn auch leise ausgesprochen, ließ Armitage schaudern. »Üble Situation, Sir! Vielversprechende Polizeikarriere wird auf einen Schlag zappenduster. Grund zur Entlassung, nicht wahr? Gewerkschaftsarbeit … kann einen in Schwierigkeiten bringen.«
»Hat es damals auch«, bestätigte Joe. »Und es war ja nicht so, als sei ich nicht gewarnt worden … der Mann, der vor mir für die Angehörigen der Truppe eingetreten war - er hieß Thomas Thiel, ein Ex-Gardeoffizier -, war eben erst entlassen worden. Sir Edward Henry, der scheidende Commissioner, hatte sich seiner entledigt, weil er angeblich die Truppe aufhetzte. Und da stand ich nun und sollte meinen Hals auf denselben Richtblock legen.«
»Aber Sie haben es trotzdem getan.« Armitage lächelte und nickte. »Schon an der Front waren Sie immer ganz vorn!«
»Tja, zu der Zeit fühlte ich mich nicht wie ein Anführer«, meinte Joe. »Jemand trat mir in den Arsch, und ich ging für ihn auf die Barrikaden. Da war ich also, hetzte los, wenn Sie es so formulieren wollen, und mein Name fiel dem Mann an der Spitze auf, dem neuen Commissioner. Man hieß mich, die Truppe in einem informellen Gespräch mit diesem Kerl zu vertreten.« Joe hielt kurz inne und lächelte grimmig. »Es war General Sir Nevil Macready.«
Die Gesichtszüge von Armitage wurden starr. »Mein Gott, der alte Kriegsgaul!« Er biss von seiner Wurst ab und kaute nachdenklich.
»Genau der. Von der Belagerung von Ladysmith bis zu den Oster-Aufständen, immer hat er seinen Kopf durchgesetzt. Er trat vehement gegen Polizeistreiks ein und hatte schon 1918 einen Streik niedergeschlagen. Und jetzt nahm die Große Knarre mich ins Visier! Ich wurde in sein Büro zitiert. Sie können sich vorstellen, wie ich mich fühlte, als ich eintrat. Aber das Erste, was ich sah - und ich muss zugeben, einen Augenblick lang brachte es mich ganz schön durcheinander -, war ein Plakat an der Wand hinter seinem Schreibtisch. Eines von unseren. Darauf stand ›MACREADY MUSS WEG!‹ Diese Unverfrorenheit! Aber es gefiel mir. Mir kam der Gedanke, dass dieser Mann möglicherweise ebenso wie wir ein Aufhetzer war. Er missbilligte den Polizeistreik - ich war selber nicht scharf darauf, um ehrlich zu sein -, aber er sah, dass es Missstände gab, sah, dass die Polizei eine stümperhafte und inkompetente Truppe war, die durch die Straßen von London wanderte, mit einer Laterne in der einen Hand und einer Glocke in der anderen.«
»Hört ihr Leut’, ich muss euch sagen?«
»Etwas in der Art. Jedenfalls legten wir von Soldat zu Soldat - er hatte sich die Mühe gemacht, alles über mich in Erfahrung zu bringen - unsere Karten auf den Tisch. Er hörte sich an, was ich ihm über die Probleme der Streifenbeamten zu sagen hatte, und er versicherte mir, dass er vielen dieser Probleme seine Aufmerksamkeit widmen würde. Und was Sir Nevil betrifft, so fand ich heraus, dass er nicht einfach nur eine unangenehme Sache auf Eis legen wollte. Er stand zu seinem Wort, reagierte prompt, und schon kurz nach dem Treffen hatte er die Ungerechtigkeiten im Bezahlungssystem und im Krankengeld ausgemerzt, der wesentliche Zankapfel. Er organisierte für einige Gewerkschaftsvertreter ein Treffen mit Lloyd George in der Downing Street Nummer zehn, und wir konnten noch mehr Zugeständnisse bewirken.« Joe grinste. »Wir handelten eine Gehaltserhöhung, Kriegsprämien und eine Witwenkasse aus. Wir konnten sogar Thiel wieder in Amt und Würden holen! Sir Nevil hatte tausendundein Projekt am Laufen, alle verbesserten die Lage, alle waren praktisch. Von der Neugestaltung der Uniform bis hin zu Modernisierung, Motorisierung und Neuausstattung der gesamten Truppe.«
»Ich glaube, da komme ich ins Spiel«, sagte Armitage. »Zu diesem Zeitpunkt sah es nämlich langsam danach aus, dass es ein Beruf war, der mir gefallen könnte. Aber Sie, Sir? Vom Constable zum Commander auf einen Streich? Etwas gewagt, nicht? Da müssen einige Augenbrauen in die Höhe gegangen sein, von
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