Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
die ihm auf den Schreibtisch gelegt worden waren. Aber Sandilands war kein schwerfälliger Automat. Cottingham hatte gesehen, wie der Mann binnen Minuten zum Kern eines Problems vorstieß. Dennoch waren die Inspirationsblitze von Joe immer untermauert von tagelangem Beweisesammeln, Verhören und dem vernünftigen Einsatz der forensischen Wissenschaft. Cottingham lächelte. Er fragte sich, ob Joe den Spitznamen kannte, den die unteren Ränge ihm gegeben hatten. Vorhängeschloss Holmes. Es schien zu seinem Stil zu passen. Und es war ein Stil, der zu Ralph Cottingham passte. Er sah sich um, das prächtige Mobiliar, der edle Teppich, der eigene Telefonapparat, die Aussicht auf die Horseguards, und war auf positive Weise neidisch. Er seufzte. Eines Tages hatte er vielleicht auch so viel Glück.
Sandilands sprach weiter. »Ralph, wenn wir mit diesem Iren fertig sind, gehen Sie bitte direkt ins Ritz. Nehmen Sie sich die Dienstpläne vor. Alle potenziellen Zeugen, die sich zur fraglichen Zeit in den Fluren aufhielten. Als unser Mann das Mordzimmer verließ, hat er bestimmt nicht den Aufzug benutzt. Prüfen Sie das trotzdem nach! Erneut! Wenn er über die Treppe ging, wäre er Westhorpe begegnet, wie Sie schon sagten. Die dritte Möglichkeit …«
»Er hat selbst ein Zimmer im Hotel? Möglicherweise auf demselben Stockwerk? Er hätte durch seine Zimmertür verschwinden können, bevor Westhorpe auftauchte. Wir haben Samstagnacht eine erste Überprüfung durchgeführt - es gibt eine entsprechende Liste in der Akte -, aber jetzt, wo wir mehr wissen, werde ich andere Fragen stellen.«
»Erstellen Sie eine Übersicht von allen, die in dieser Nacht im vierten Stock oder darüber untergebracht waren.« Joe grinste. »Langsam kommt Schwung in die Sache, Ralph!«
Sie trafen sich eine Minute vor neun vor der Tür zu einem der Verhörräume im Keller. Als sie durch den kleinen Spion in der Tür lugten, sahen sie, dass ihr Gast bereits auf dem harten Stuhl Platz genommen hatte, der den zu verhörenden Personen zugewiesen wurde. Ein junger Constable stand bequem ihm gegenüber, vermied jedweden Blickkontakt mit der Person, die ihm anvertraut worden war.
Joe sah mit Interesse auf den vermeintlichen Liebhaber von Dame Beatrice. Er war ein großer, schlanker Mann Mitte dreißig, der entspannt mit überkreuzten Armen dasaß und eine Zigarette rauchte. Lockiges, bronzefarbenes Haar, gut geschnitten und gekämmt (weniger würde die Geschäftsführung des Ritz auch niemals akzeptieren), umrahmte ein schmales, olivfarbenes Gesicht. Ein intelligentes Gesicht, entschied Joe, und sah durch den Rauch, wie die grauen Augen schmal wurden, während er erneut an seiner Zigarette zog. Joe betrachtete seinen Mund. Er hatte immer schon gefunden, dass dieser vernachlässigte Teil des menschlichen Gesichts Hinweise auf den Charakter gab, die von den Augen durchaus verborgen werden konnten. Schmale Lippen, aber wohl geformt. Ein Mund, dessen Stärke von tiefen Falten zu beiden Seiten unterstrichen wurde. Falten, die auf Humor und Bereitschaft zum Lachen hindeuten konnten. Gut aussehend? Ja, wie berichtet. Attraktiv für Frauen? Davon ging er aus. Vielleicht hatte er irgendwann das Glück, diesbezüglich die Meinung von Westhorpe zu hören zu bekommen. Einen kurzen Augenblick wünschte Joe, sie wäre jetzt an seiner Seite.
»Gut aussehender Kerl, Sir«, flüsterte Cottingham und wiederholte damit seine Gedanken. »So stellt sich keiner einen Schurken vor, da bin ich sicher.«
»Der bestaussehende Kerl, den ich je gesehen habe, hat ein Messer in den Hals eines kleinen Jungen gerammt und mich beinahe erschossen«, meinte Joe nüchtern. »Sollen wir hineingehen und diesen Adonis unter die Lupe nehmen?«
Donovan erhob sich höflich, als sie eintraten. Er sah ihnen fest in die Augen, als Namen und Rang genannt wurden. »Der Inspektor und ich kennen uns bereits«, murmelte er und bedachte Cottingham mit einem warmen Lächeln.
Sie setzten sich, und Cottingham zog Notizbuch und Füllfederhalter hervor.
»Ihr Name, bitte?«, fragte Joe. »Sowie Ihre Adresse und Ihr Beruf. Für die Akten.«
»Da hat sich nichts geändert, seit mich der Inspektor Samstagnacht befragt hat. Ich heiße immer noch Thomas Donovan. Ich kann immer noch im Ritz erreicht werden, wo ich ein Zimmer habe, weil ich dort als Nachtportier und gelegentlich als Empfangschef arbeite. Ich betreue außerdem die Telefonzentrale.« Seine Stimme war ein angenehmer Bariton und besaß nur einen
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