Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
die Grünanlagen im zentralen Garten oder die georgianische Architektur aus Portland-Stein zu genießen. Er ging direkt auf ein Haus am Ende eines leicht ansteigenden Straßenzuges zu, bemerkte den Seiteneingang und fragte sich, ob er den richtigen der beiden Schlüssel wählte, um Zugang durch den imposanten Haupteingang zu bekommen. Ein vorbeifahrender Milchwagen rasselte mit klirrenden Flaschen vorbei, und der Milchmann rief ihm einen fröhlichen Gruß zu, als er die vier Vorderstufen hochlief.
Tilly hatte von der »Wohnung« von Dame Beatrice gesprochen, aber Joe fiel auf, dass es nur eine Klingel gab. Die Tür öffnete sich mühelos auf den größeren der beiden Schlüssel hin, und er trat in einen breiten, unmöblierten Flur. Er blieb unsicher stehen, seine Erklärung parat, falls er sich einem misstrauischen Bewohner stellen musste. Doch niemand eilte ihm empört entgegen, um ihn zu fragen, was zum Teufel er hier tue. Auch hier kein Anzeichen von mehr als einem Bewohner. Keine versperrten Türen, keine handgemalten Pfeile, die zu den oberen Stockwerken führten, kein Tisch, der vor Post überquoll, die darauf wartete, von anderen Bewohnern eingesammelt zu werden. Joe kam zu dem Schluss, dass das ganze Haus Dame Beatrice gehören musste. Er blieb stehen und lauschte. Das Haus hatte den toten Klang eines völlig leeren Gebäudes.
Kühn rief er: »Beatrice! Sind Sie hier?«
Er bekam keine Antwort, also öffnete er die Tür zum Salon.
Was hatte er erwartet? Smaragdgrüne Wände, einen Diwan mit turmhohen Kissen in Lila, post-impressionistische Klecksereien an den Wänden, den Versuch, wie Léon Bakst das Dekor der Scheherazade neu zu erschaffen? Ja, stumm räumte er ein, dass er mit etwas in der Art gerechnet hatte. Er hatte gedacht, dass Dame Beatrice, nachdem sie sich entschieden hatte, in Bloomsbury zu wohnen, den künstlerischen, unbekümmerten Stil angenommen hätte, für den seine Bewohner bekannt waren. Das Zimmer überraschte ihn. Modern, aber zurückhaltend und offensichtlich von einem Amateur mit einem ausgeprägten persönlichen Stil eingerichtet.
Die Wände waren in einem blassen Beigeton, der Holzboden bedeckt mit Perserteppichen in Braun und Bernstein, das große Sofa in schwarzem Leder. Er fuhr mit der Hand begehrlich über ein Möbelstück, das früher einmal Chaiselongue genannt worden wäre, aber dies war ein glatter, übergroßer Stuhl mit Stahlrahmen, ein deutsches Design. Es gab reichlich Beistelltische mit passenden Stühlen und hellen Holzeinlegearbeiten in ansprechendem Muster. Joe war interessiert genug, um einen der Stühle umzudrehen und den Namen des Herstellers zu suchen. Österreichisch, aber bei Heal’s in der nahe gelegenen Tottenham Court Road erhältlich. Über dem Kamin hing ein großes, entzückendes Meeresbild, die anderen Wände zierten Bilder in allen möglichen Stilen: eine französische Landschaft, eine Studie von Pferden, die vielleicht - aber das war doch sicher nicht möglich, oder? - von Stubbs sein mochte, zwei goldene Aquarelle einer fernöstlichen Szene von Chinery und ein kleines Porträt aus der Hand von Augustus John. Sie hatten nichts gemeinsam außer dem Geschmack der Besitzerin, urteilte Joe, und wieder wünschte er sich, er hätte Beatrice kennengelernt, als sie noch am Leben war. Ungewöhnlicherweise gab es keine Familienporträts oder -fotos, nichts von persönlicher Natur.
Er zählte die Sitzplätze und gelangte zu dem Schluss, dass Dame Beatrice acht oder zehn Leute hätte bewirten können, wenn das ihr Wunsch gewesen wäre. Und das mit viel Stil. Sie hätte den obersten Seelord, seine ehrenwerte Gattin und deren unverheiratete Tante zum Cocktail einladen können und alle wären entzückt gewesen. Alles war korrekt und elegant, abgesehen von einem einzigen Objekt, das er auf dem Kaminsims entdeckte - eine moderne Bronzeskulptur von Europa, die halb nackt und mit Blumengirlanden geschmückt auf dem Rücken ihres Stieres ritt. Aber es war ein Kunstwerk und nur dann erotisch, wenn man einen Blick dafür hatte, dachte er - und wenn man neugierig genug war, die Skulptur in die Hand zu nehmen und aus einem ungewöhnlichen Winkel anzuschauen. Er hielt inne, um respektvoll ein Feuerzeug in Chrom und Weiß in die Hand zu nehmen sowie das dazugehörige Zigarettenetui. Er hob den Deckel und roch am Inhalt. Türkischer Tabak an dem einen Ende und Virginiatabak am anderen. Nichts Schlimmeres wurde in dieser angemessenen Szenerie angeboten.
Joe schüttelte seine
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