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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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denen er nichts zu tun hat.
    Aber wenn’s einen gibt, mit dem er was zu tun hat, dann wollen wir
    ihm den auch anhängen.«
    »Deshalb haben Sie mir das alles erzählt?«
    »Ja.«
    »Ich habe gedacht, weil Sie mich bis auf die Knochen hassen«, sag‐
    te er.
    »Mit dem Haß auf Sie bin ich durch«, sagte ich. »Er ist verbraucht. Ich kann Leute ziemlich stark hassen, aber ich kann sie nicht lange hassen.«
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    Wir fuhren jetzt durch das Weinanbaugebiet, das offene, sandige Weinanbaugebiet an den steilen Flanken der Bergabhänge. Nach
    einer kleinen Weile kamen wir nach San Bernardino, und ich fuhr durch die Stadt, ohne anzuhalten.
    In Crestline, das fünftausend Fuß hoch lag, hatte es noch nicht an‐
    gefangen warm zu werden. Wir hielten auf ein Bier. Als wir zurück
    in den Wagen stiegen, zog Degarmo seinen Revolver aus dem Half‐
    ter unter seinem Arm hervor und betrachtete ihn. Es war eine 38er
    Smith and Wessen auf einem 44er Rahmen, eine tückische Waffe mit
    der Schlagkraft einer 45er und einer viel größeren Reichweite.
    »Den werden Sie nicht brauchen«, sagte ich. »Er ist zwar groß und
    stark, aber so hart ist er nun auch wieder nicht.«
    Er steckte den Revolver wieder unter seinen Arm und knurrte. Wir
    sprachen jetzt nicht mehr. Wir hatten über nichts mehr zu sprechen.
    Wir glitten um die Kurven, die steilen Abhänge entlang, die mit weißen Leitplanken und an manchen Stellen mit Mauern aus Feld-steinen und schweren eisernen Ketten abgesichert waren. Wir kletterten durch hohe Eichen und weiter auf eine Höhe, wo die Eichen
    nicht mehr so hoch waren, dafür die Kiefern um so höher. Schließ‐
    lich kamen wir zu dem Damm am Ufer des Puma Lake.
    Ich hielt an, und die Wache schulterte ihr Gewehr und kam ans Fenster.
    »Schließen Sie bitte die Fenster, bevor Sie über den Damm fahren.«
    Ich lehnte mich zurück, um das Fenster auf meiner Seite hochzu‐
    drehen. Degarmo streckte seine Marke hoch. »Vergiß es, Kumpel.
    Ich bin Polizeibeamter«, sagte er in seiner üblichen gewinnenden Art.
    Der Posten blickte ihn lange und ausdruckslos an. »Bitte schließen
    Sie die Fenster«, sagte er im gleichen Ton wie vorhin.
    »Ach leck mich doch«, sagte Degarmo. »Leck mich, du Kommiß‐
    kopp.«
    »Das ist ein Befehl«, sagte der Posten. Seine Backenknochen be-245
    wegten sich kaum merklich. Seine stumpfen grauen Augen starrten
    Degarmo an. »Und ich habe diesen Befehl nicht gemacht, Mister.
    Schließen Sie die Fenster.«
    »Angenommen, ich würde Ihnen befehlen, ins Wasser zu sprin‐
    gen«, höhnte Degarmo.
    Der Posten sagte: »Vielleicht tat ich’s. Ich fürchte mich so schnell.«
    Er klatschte mit seiner Hand – er trug Lederhandschuhe – gegen seinen Gewehrkolben.
    Degarmo drehte sich um und schloß das Fenster an seiner Seite.
    Wir fuhren über den Damm. In der Mitte stand ein weiterer Posten,
    ein dritter am Dammende. Der erste mußte sie irgendwie verständigt haben. Sie musterten uns aufmerksam und unfreundlich.
    Ich fuhr weiter durch die aufgetürmten Granitmassen und hinun‐
    ter durch die Wiesen mit dem rauhen Gras, auf denen Kühe weide‐
    ten. Dann kamen die gleichen grellen langen Hosen und die gleichen kurzen Shorts und die gleichen Bauernkopftücher wie gestern,
    es herrschte die gleiche leichte Brise, und die gleiche goldene Sonne
    schien vom gleichen blauen Himmel, und man spürte den gleichen
    Tannennadelgeruch, die gleiche angenehme Kühle eines Gebirgs‐
    sommers. Aber gestern schien hundert Jahre zurückzuliegen, einge‐
    schlossen in der Zeit, wie eine Fliege im Bernstein.
    Ich bog in den Weg zum Little Fawn Lake und kurvte um die ho‐
    hen Felsen und kam zu dem kleinen gurgelnden Wasserfall. Das Tor
    zu Kingsleys Besitz war offen, und Pattons Wagen stand auf dem Weg, sein Kühler zeigte auf den See, der von hieraus nicht zu sehen
    war. Im Auto saß niemand. Immer noch konnte man auf dem Schild
    lesen: ›Achtung, Wähler. Behaltet Jim Patton als Sheriff. Zum Arbei‐
    ten ist er zu alt.‹
    Nahe bei dem Wagen stand ein kleines klappriges Coupé in ent‐
    gegengesetzter Richtung. Im Coupé sah man einen Löwenjägerhut.
    Ich parkte meinen Wagen hinter dem Pattons, stieg aus und schloß
    ihn ab. Andy stieg aus dem Coupé und starrte uns steif an.
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    Ich sagte: »Das ist Lieutenant Degarmo von der Bay City‐Polizei.«
    Andy sagte: »Jim sitzt drüben auf dem Grat. Er wartet auf Sie. Er
    hat noch nicht gefrühstückt.«
    Wir stiegen den Weg zum Grat hinauf, während sich

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