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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Sie ihn nicht haben, können Sie ihn auch nicht daran hin‐
    dern.«
    »Das ist richtig.«
    Wir gingen zurück ins Wohnzimmer. Miss Fromsett steckte ihren
    Kopf aus der Kochnische und sagte, daß sie Kaffee mache und ob wir auch welchen wollten. Wir tranken Kaffee und saßen herum wie
    Leute auf dem Bahnhof, die ihre Freunde zum Zug gebracht haben.
    Pattons Rückruf kam ungefähr nach fünfundzwanzig Minuten. Es
    sei Licht ins Kingsleys Blockhaus, und ein Auto stehe geparkt neben
    dem Haus.

    Wir frühstückten kurz in Alhambra, und ich ließ meinen Tank auf‐
    füllen. Wir fuhren auf den Highway 70 hinaus, vorbei an den Last‐
    wagen, in das wellige Gebiet der Ranchs. Ich saß am Steuer. Degar‐
    mo saß traurig in der Ecke, die Hände tief in den Taschen.
    Ich sah die dichten geraden Reihen der Orangenbäume, die sich
    wie Speichen eines Rades vorbeidrehten. Ich hörte auf das Winseln
    der Reifen auf dem Pflaster, und ich fühlte mich müde und überan‐
    strengt von zu wenig Schlaf und zu viel Aufregung.
    Wir erreichten die lange Schleife südlich von San Dimas, die hin‐
    aus zu einem Kamm führt und dann hinunter nach Pomona fällt.
    Hier ist die äußerste Grenze des Nebelgürtels und der Anfang eines
    Halbwüstengebiets, wo die Sonne am Morgen so hell und trocken
    wie alter Sherry, am Mittag so heiß wie das Gebläse eines Hochofens
    ist und wo sie in die Nacht stürzt wie ein wütend glühender Ziegel.
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    Degarmo steckte ein Streichholz in den Mundwinkel und sagte
    fast höhnisch:
    »Webber hat mir gestern abend vielleicht die Hölle heiß gemacht.
    Er hat mir gesagt, daß er mit Ihnen gesprochen hat und worüber.«
    Ich sagte nichts. Er sah mich an, sah dann wieder weg. Er zeigte mit der Hand hinaus. »In dieser verdammten Gegend möchte ich
    nicht leben, wenn man sie mir schenken würde. Die Luft ist schon verbraucht, bevor man auch nur aufgestanden ist.«
    »In ein paar Minuten sind wir in Ontario. Wir kreuzen den
    Foothill Boulevard, und dann können Sie auf fünf Meilen Länge die
    schönsten Grenvillea‐Bäume der Welt sehen.«
    »Ich könnte sie nicht von einem Hydranten unterscheiden«, sagte
    Degarmo.
    Wir kamen ins Stadtzentrum und bogen nach Norden, nach Eu‐
    clid, ab und fuhren den herrlichen Parkway entlang. Degarmo blick‐
    te höhnisch lächelnd auf die Grenvillea‐Bäume.
    Nach einer Weile sagte er: »Das war mein Mädchen, das da oben
    im See ertrunken ist. Ich bin im Kopf nicht ganz in Ordnung, seit ich
    das weiß. Ich sehe nur noch rot. Wenn ich diesen Kerl Chess in die
    Finger bekomme…«
    »Sie haben schon genug Schaden angerichtet«, sagte ich, »als Sie sie entkommen ließen, nachdem sie Almores Frau umgebracht hatte.«
    Ich sah starr gerade nach vorne durch die Windschutzscheibe. Ich
    wußte, daß er seinen Kopf bewegt hatte und daß seine Augen auf mir froren. Ich wußte nicht, was seine Hände taten. Ich wußte nicht,
    was sein Gesicht für einen Ausdruck hatte. Nach einer langen Zeit kamen seine Worte. Sie kamen durch zusammengebissene Zähne
    und gepreßte Lippen, und sie kratzten ein wenig, als sie herauska-men.
    »Sie sind wohl ein bißchen verrückt oder was?«
    »Nein«, sagte ich. »Genausowenig wie Sie. Sie wissen genausogut,
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    wie jemand etwas nur wissen kann, daß Florence Almore nicht aus
    ihrem Bett aufgestanden und zur Garage hinunterspaziert ist. Sie wissen, daß man sie getragen hat. Sie wissen, daß Talley deshalb ihren Slipper gestohlen hat, den Slipper, mit dem sie nie über den Zementweg gelaufen sein konnte. Sie wissen, daß Almore seiner
    Frau bei Condy eine Spritze in den Arm verpaßt hat, gerade das richtige Quantum und kein bißchen zuviel. Er verstand damit so gut
    umzugehen, wie Sie mit ’nem Penner umspringen können, der kein
    Geld hat und nicht weiß, wo er schlafen soll. Sie wissen, daß Almore
    seine Frau nicht mit Morphium umgebracht hat. Und daß Morphi‐
    um das letzte auf der Welt gewesen wäre, wozu er gegriffen hätte,
    wenn er sie wirklich hätte umbringen wollen. Aber Sie wissen, daß
    es jemand andrer war und daß Almore sie runter in die Garage ge‐
    tragen hat und sie dort hinlegte – im technischen Sinn noch ge-nügend lebendig, um ein wenig Monoxyd einzuatmen, aber medi‐
    zinisch schon genauso tot, als ob sie zu atmen aufgehört hätte. Das
    alles wissen Sie.«
    Degarmo sagte leise: »Bruder, wie hast du’s bloß fertig gebracht, so lang am Leben zu bleiben?«
    Ich sagte: »Indem ich nicht auf zu viele faule Tricks

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