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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Andy wieder in
    sein Coupé setzte. Dahinter fiel die Straße zum winzigen blauen See.
    Kingsleys Blockhaus jenseits des Wassers schien wie ausgestorben.
    »Das ist der See«, sagte ich.
    Degarmo sah schweigend hinunter. Er zuckte heftig mit den
    Schultern. »Jetzt wollen wir uns den Hurensohn greifen«, war alles,
    was er sagte.
    Wir gingen weiter, und Patton stand hinter einem Felsbrocken auf.
    Er trug denselben alten Stetson‐Hut, dieselben Khakihosen und das
    bis zu seinem kräftigen Hals zugeknöpfte Hemd. Der Stern auf sei‐
    ner linken Brustseite hatte immer noch einen verbogenen Zacken.
    Seine Kinnbacken bewegten sich langsam. Sie kauten.
    »Nett, Sie wiederzusehen«, sagte er, wobei er aber nicht mich, sondern Degarmo ansah.
    Er streckte seine Hand aus und schüttelte Degarmos schwere
    Pranke.
    »Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, Lieutenant, hatten Sie
    einen anderen Namen. Einen Decknamen, wie Sie’s vermutlich nen‐
    nen würden. Ich habe mich, glaube ich, auch nicht richtig zu Ihnen
    verhalten. Ich entschuldige mich. Ich habe, glaube ich, die ganze Zeit gewußt, wer das auf dem Foto war.«
    Degarmo nickte und sagte nichts.
    »Wahrscheinlich hätten wir uns eine Menge Kummer erspart,
    wenn ich auf Draht gewesen wäre und die Sache richtig angepackt
    hätte«, sagte Patton. »Vielleicht wäre ein Leben gerettet worden. Ich
    mache mir Vorwürfe deswegen. Aber andrerseits bin ich auch nicht
    der Mensch, der sich über irgendwas zu lange Vorwürfe macht. Ich
    glaube, wir sollten uns erst mal hier hinsetzen, und Sie erzählen mir,
    was wir jetzt weiter unternehmen wollen.«
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    Degarmo sagte: »Kingsleys Frau ist letzte Nacht in Bay City ermordet worden. Darüber möchte ich mich mit ihm unterhalten.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß Sie ihn verdächtigen?« fragte Patton.
    »Und ob«, brummte Degarmo.
    Patton kratzte sich am Hals und blickte über den See. »Er ist über‐
    haupt noch nicht aus dem Haus aufgetaucht. Wahrscheinlich schläft
    er noch. Ich bin ganz früh am Morgen ums Haus herumgeschlichen.
    Man hörte ein Radio, und dann hörte ich Geräusche, wie sie ein Mann macht, der mit ’ner Flasche und ’nem Glas zugange ist. Ich hab mich von ihm ferngehalten. Ich hoffe, das war richtig?«
    »Wir gehen jetzt hinüber«, sagte Degarmo.
    »Sie haben einen Revolver, Lieutenant?«
    Degarmo klopfte an die Stelle unter seinem Arm. Patton sah mich
    an. Ich schüttelte den Kopf, keinen Revolver.
    »Vielleicht hat Kingsley auch einen«, sagte Patton. »Ich bin nicht gerade wild auf eine flotte Schießerei hier, Lieutenant. Es würde mir
    nur schaden, wenn hier herumgeknallt würde. Wir hier oben halten
    nicht viel davon. Und Sie sehen mir wie jemand aus, der mit dem Schießen schnell bei der Hand ist.«
    »Ich bin schnell, wenn Sie das meinen«, sagte Degarmo. »Aber ich
    möchte, daß der Kerl redet.«
    Patton sah zu Degarmo, dann zu mir, wieder zu Degarmo und
    spuckte Tabaksaft in einem langen Strahl zur Seite.
    »Bisher hab ich nicht mal genug gehört, um ihm überhaupt auf die
    Pelle rücken zu können«, sagte er beharrlich.
    Also setzten wir uns wieder auf den Boden und erzählten ihm die
    Geschichte. Er hörte schweigend zu, ohne mit der Wimper zu zuk‐
    ken. Am Ende sagte er zu mir: »Sie haben schon eine komische Art,
    für Ihre Leute zu arbeiten, will mir scheinen. Ich persönlich glaube,
    daß ihr beide auf dem Holzweg seid. Wir wollen rübergehen und weitersehen. Ich werde als erster reingehen, für den Fall, daß Sie mit
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    Ihrem Gerede recht hatten, und falls Kingsley eine Waffe hat und ein bißchen durchgedreht ist. Ich hab einen großen Bauch. Der gibt
    ein gutes Ziel ab.«
    Wir standen vom Boden auf und gingen den längeren Weg um
    den See herum. Als wir zum kleinen Pier kamen, sagte ich:
    »Hat man die Autopsie schon gemacht, Sheriff?«
    Patton nickte: »Sie ist richtig ertrunken. Sie haben gesagt, daß über
    ihre Todesart kein Zweifel besteht. Sie ist weder erstochen noch er‐
    schossen worden, noch wurde ihr der Hals oder sonstwas gebro‐
    chen. Es gibt Male auf dem Körper, aber zu viele, als daß man irgendwas draus schließen könnte. Und es ist kein allzu schöner Kör‐
    per mehr, an dem man auch nicht so schrecklich gern herumdok‐
    tert.«
    Degarmo sah bleich und wütend aus.
    »Vermutlich hätte ich das nicht sagen sollen, Lieutenant«, fügte Patton milde hinzu. »Das war ein wenig grob. Nachdem ich gehört
    habe, daß Sie die Dame doch ziemlich gut

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