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Die Tote in der Bibliotek

Die Tote in der Bibliotek

Titel: Die Tote in der Bibliotek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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herauskam.
    «Ja, es ist Ruby», sagte sie mit zittriger Stimme. «Die Ärmste! O Gott, mir ist ganz mulmig. Kann ich vielleicht…» Sie sah sich sehnsüchtig um. «Kann ich vielleicht einen Gin haben?»
    Gin war keiner da, aber Brandy, und nach ein, zwei Schlucken hatte Miss Turner die Fassung wiedererlangt.
    «Nimmt einen ganz schön mit, wenn man so etwas sieht», sagte sie freimütig. «Die arme Ruby! Die Männer sind ein so brutales Pack!»
    «Sie meinen, es war ein Mann?»
    Josie stutzte.
    «War’s denn keiner? Ach so – ich dachte natürlich…»
    «Denken Sie an einen bestimmten Mann?»
    Sie schüttelte heftig den Kopf.
    «Nein – nein. Keine Ahnung. Aber Ruby hätte es mir auch nicht gesagt, wenn…»
    «Wenn was?»
    «Wenn – wenn sie mit einem gegangen wäre.»
    Melchett warf ihr einen interessierten Blick zu. Er schwieg, bis sie wieder in seinem Büro waren.
    «So, Miss Turner», sagte er dann. «Jetzt sagen Sie mir bitte alles, was Sie wissen.»
    «Ja, gut. Womit soll ich denn anfangen?»
    «Erst einmal brauche ich den vollen Namen des Mädchens und ihre Adresse, dann Angaben über Ihr Verhältnis zu ihr und überhaupt alles, was Ihnen über sie bekannt ist.»
    Josephine Turner nickte. Wieder fand Melchett, dass sie nicht übermäßig traurig wirkte. Sie war erschüttert und bekümmert, aber mehr nicht. Bereitwillig gab sie Auskunft.
    «Sie hieß Ruby Keene – das heißt, das war ihr Künstlername. Ihr richtiger Name war Rosy Legge. Ihre Mutter ist eine Kusine von meiner Mutter. Ich kannte sie von klein auf, aber nicht sehr gut, verstehen Sie? Ich habe ziemlich viele Vettern und Kusinen – ein paar von ihnen sind Geschäftsleute, andere sind beim Theater. Ruby wollte sich nach und nach zur Tänzerin ausbilden lassen. Voriges Jahr hatte sie ein paar gute Engagements in Weihnachtsaufführungen und so. Nichts Erstklassiges, aber bei passablen Provinzensembles. Danach war sie Eintänzerin im Palais de Danse in Brixwell, im Süden von London. Ein schönes, angesehenes Haus, wo man sich um die Mädchen kümmert, aber viel Geld ist da nicht zu verdienen.» Sie schwieg einen Moment.
    Colonel Melchett nickte.
    «Und jetzt komme ich ins Spiel. Ich bin seit drei Jahren Tanz- und Bridgepartnerin im Majestic in Danemouth. Es ist eine gute Stelle, gut bezahlt, angenehmes Arbeitsklima. Man betreut neu angekommene Gäste – die man sich vorher natürlich genau anschaut. Manche möchten lieber in Ruhe gelassen werden, aber andere sind einsam und lassen sich gern ein bisschen auf die Sprünge helfen. Man bringt passende Bridgepartner zusammen und sorgt dafür, dass die jungen Leute miteinander tanzen. Das verlangt einiges an Feingefühl und Erfahrung.»
    Wieder nickte Colonel Melchett. Das Mädchen machte seine Sache bestimmt gut. Sie hatte eine angenehme, freundliche Art, fand er, und war gescheit, ohne im mindesten altklug zu wirken.
    «Und zusätzlich», fuhr Josie fort, «gebe ich zusammen mit Raymond jeden Abend zwei, drei Tanzvorstellungen. Raymond Starr – er ist als Tennis- und Tanzpartner im Hotel angestellt. Aber diesen Sommer bin ich beim Baden im Meer auf den Steinen ausgerutscht und hab mir böse den Fuß verrenkt.»
    Melchett hatte bemerkt, dass sie leicht hinkte.
    «Da war’s erst einmal aus mit dem Tanzen, und das war schlimm. Ich wollte auf keinen Fall, dass jemand anders für mich eingestellt wird. So etwas ist gefährlich» – einen Moment lang trat ein harter, scharfer Blick in ihre gutmütigen Augen, der Blick eines Menschen, der ums Überleben kämpft – «denn plötzlich ist man weg vom Fenster. Aber da fiel mir Ruby ein, und ich habe dem Direktor vorgeschlagen, sie ins Majestic zu holen. Ich konnte weiter die Gäste betreuen, beim Bridge und so, und Ruby konnte das Tanzen übernehmen. Dann blieb es sozusagen in der Familie, verstehen Sie?»
    Melchett nickte erneut.
    «Der Direktor war einverstanden, ich habe Ruby telegrafiert, und sie ist gekommen. Das war die Chance für sie. Um Klassen besser als alles, was sie vorher gemacht hatte. Das war vor ungefähr vier Wochen.»
    «Verstehe. Und – hatte sie Erfolg?»
    «O ja», sagte Josie leichthin. «Sie kam sehr gut an. Sie tanzt zwar nicht so gut wie ich, aber Raymond hat ihr geschickt über die Schwierigkeiten hinweggeholfen. Und sie war hübsch, müssen Sie wissen – schlank, blond, kindliches Gesicht. Nur geschminkt hat sie sich zu stark – immer wieder hab ich ihr das gesagt. Aber Sie wissen ja, wie diese jungen Mädchen sind. Sie

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