Die Tote in der Bibliotek
erstatten.
«… klarer Fall also, Sir», schloss Inspektor Slack. «Mrs. Bantry hat sich nach dem Essen in der Bibliothek aufgehalten und ist um kurz vor zehn zu Bett gegangen. Im Hinausgehen hat sie das Licht ausgemacht, und danach hat vermutlich niemand mehr den Raum betreten. Die Dienstboten sind um halb elf schlafen gegangen, Lorrimer eine Viertelstunde später, nachdem er das Whiskytablett in der Halle abgestellt hatte. Niemand hat irgendwelche ungewöhnlichen Geräusche gehört, außer dem dritten Dienstmädchen, und die hat viel zu viel gehört! Stöhnen und einen Schrei, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, unheimliche Schritte und was weiß ich noch alles. Aber das zweite Mädchen, ihre Zimmergenossin, sagt, sie hat die ganze Nacht tief und fest geschlafen. Solche Leute machen es einem so schwer mit ihren Phantasiegeschichten!»
«Was ist mit dem aufgebrochenen Fenster?»
«Amateurarbeit, sagt Simmons, mit einem gewöhnlichen Meißel. Gängiges Modell, kann nicht viel Lärm gemacht haben. Irgendwo im Haus müsste ein Meißel sein, aber er ist nirgends zu finden. Bei Werkzeug ist das allerdings nichts Ungewöhnliches.»
«Meinen Sie, jemand vom Personal weiß etwas?»
Inspektor Slacks Antwort klang unwillig. «Nein, Sir, ich glaube nicht. Sie waren alle wie vor den Kopf geschlagen. Ich hatte erst Lorrimer in Verdacht, so zugeknöpft, wie der war, wenn Sie verstehen, was ich meine, aber da scheint nichts dran zu sein.»
Melchett nickte. Er maß Lorrimers Zugeknöpftheit weiter keine Bedeutung bei, denn Reaktionen dieser Art rief der energische Inspektor Slack bei Leuten, die er verhörte, oft hervor.
Die Tür ging auf, und Dr. Haydock trat ein.
«Dachte, ich schau mal eben rein und setze Sie kurz ins Bild.»
«Ah ja, nett, dass Sie kommen. Und?»
«Ziemlich mageres Ergebnis. Alles wie erwartet. Der Tod ist durch Strangulieren eingetreten. Mit dem Satingürtel ihres eigenen Kleides, im Nacken zugezogen. Ganz simpel. Viel Kraft war dazu nicht nötig, jedenfalls nicht, wenn das Mädchen überrascht worden ist. Keine Anzeichen eines Kampfes.»
«Und der Todeszeitpunkt?»
«Zwischen zehn und zwölf, würde ich sagen.»
«Geht’s auch etwas genauer?»
Haydock grinste leicht und schüttelte den Kopf.
«Ich werde doch nicht meinen Ruf aufs Spiel setzen. Nicht vor zehn und nicht nach zwölf.»
«Und was sagt Ihnen Ihr Gefühl?»
«Je nachdem. Im Kamin hat ein Feuer gebrannt, es war also warm im Raum, da tritt die Leichenstarre nicht so schnell ein.»
«Können Sie sonst noch etwas über das Mädchen sagen?»
«Nicht viel. Sie war jung, siebzehn oder achtzehn nach meiner Schätzung. In mancher Hinsicht eher unreif, aber von der Muskulatur her gut entwickelt. Kerngesunde Person. Und Virgo intacta, übrigens.»
Mit einem Nicken verließ der Arzt den Raum.
Melchett wandte sich wieder dem Inspektor zu.
«Sind Sie ganz sicher, dass das Mädchen in Gossington Hall noch nie gesehen worden ist?»
«Die Dienstboten könnten’s beschwören. Sind noch ganz aufgebracht. Würden sich ganz bestimmt erinnern, wenn sie sie in der Gegend schon mal gesehen hätten, sagen sie.»
«Sollte man meinen, ja. So jemand würde hier auffallen wie ein bunter Hund. Siehe die junge Frau bei Blake.»
«Schade, dass es nicht die ist», meinte Slack. «Dann wären wir jetzt ein Stück weiter.»
«Das Mädchen kann nur aus London sein», überlegte der Chief Constable. «Hier im Umkreis wird sich wohl kaum eine Spur finden. Ich glaube, wir sollten Scotland Yard einschalten. Das ist ein Fall für die, nicht für uns.»
«Aber sie muss doch einen Grund gehabt haben, hierher zu kommen.» Slack zögerte einen Moment und fügte dann hinzu: «Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass der Colonel und Mrs. Bantry von nichts wissen. Die beiden sind Freunde von Ihnen, ich weiß, Sir, aber…»
Colonel Melchett bedachte ihn mit einem langen, abweisenden Blick und sagte steif: «Seien Sie versichert, dass ich jede Möglichkeit in Betracht ziehe. Jede. Die Liste als vermisst gemeldeter Personen haben Sie sich ja sicher angesehen?»
Slack nickte und zog ein maschinengeschriebenes Blatt Papier hervor.
«Ja, hier ist sie. Mrs. Saunders, sechsunddreißig, dunkles Haar, blaue Augen, vor einer Woche als vermisst gemeldet. Die ist es nicht, und außerdem weiß jeder außer ihrem Mann, dass sie mit einem aus Leeds auf und davon ist, einem Geschäftsmann. Mrs. Barnard, sechsundfünfzig. Pamela Reeves, sechzehn, gestern Abend nicht
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