Die tote Schwester - Kriminalroman
Galeristen, Kuratoren. Die echte Kunstszene von New York! Das ist doch … voll das einzigartige Erlebnis.«
Zbigniew deutete auf die Menge.
»Die stehen hier auch nicht anders rum als in Köln auf einer Vernissage. Und da ist es auch langweilig. Abgesehen davon kann ich mit den Bildern hier überhaupt nichts anfangen.«
»Weil du dich nicht drauf einlässt. Also ich geh jetzt mal rum und schau mir die Bilder an. Du kannst ja ins Hotel gehen und Fernsehen gucken, wenn du das interessanter findest. Ich komm dann irgendwann nach.«
Zbigniew seufzte.
» Vielleicht «, schob Lena grinsend nach. Aber Zbigniew sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass dies nur eine Provokation und nicht ernst gemeint war.
Sie ging allein ein Bild weiter, studierte es. Zbigniew betrachtete sie aus der Ferne, Lena warf ihm kurz eine Art neckischen Blick zu. Dann wurde sie plötzlich von der Seite angesprochen, von einem vielleicht fünfundzwanzigjährigen Mann mit einem düsteren Bart und einer Kufiya. Lena lachte über das, was der Mann sagte. Es kam Zbigniew seltsam vor; der Mann sah eher wie ein Nachwuchsterrorist aus, wie ein ungestümer Palästinenser-Splittergruppen-Führer als wie jemand, der binnen Sekunden eine junge Frau zum Lachen bringen könnte.
Zbigniew ohrfeigte sich in Gedanken selbst. Es war immer sein Credo gewesen, Menschen nicht nach dem Aussehen zu beurteilen. Vermutlich war der Mann mit dem Kopftuch ein geistreicher, talentierter Nachwuchskünstler.
Lena lachte schon wieder, diesmal strahlte sie ihn richtiggehend an.
Zbigniew musste sich abwenden.
Er drehte sich in eine andere Richtung, zu einem anderen Bild.
Konzentration auf die Kunst.
Die Leinwand war hier im Wesentlichen mit roter Ölfarbe bemalt, was den Künstler nicht daran gehindert hatte, das Werk »Antarctica, revisited #4« zu nennen. Zbigniew bekam eine dunkle Ahnung davon, wie die anderen Antarktis-Impressionen aussehen würden.
Er vertiefte sich in das Rot.
Das hier war nicht das Richtige.
Zbigniew sah hinüber zu dem Mann mit der Kufiya, doch Lena stand nicht mehr bei ihm. In diesem Moment wurde ihm von hinten auf die Schulter getippt. Er erschrak.
»Siehst du, du musst halt nicht bloß rumstehen«, flötete Lena, grinste über beide Ohren. »Mit den Leuten ins Gespräch kommen und über die Bilder reden. Das geht ganz einfach. Komm, wir lernen noch andere Leute kennen.«
Der Palästinenser war bloß eine Demonstration gewesen. Lenas Demonstration für ihn persönlich.
»Wer sagt, dass ich jemanden kennenlernen will.«
Genau in diesem Augenblick nahm aus der Ferne, aus der amorphen Masse von Menschen eine blonde Frau mit wallender Föhnwellenfrisur direkten Blickkontakt mit ihm auf. Erst jetzt sah Zbigniew, dass sie neben Samuel Weissberg stand und sich mit ihm unterhielt. Weissberg deutete in seine Richtung.
Er sah stolz dabei aus.
Die Frau lächelte neugierig, und Zbigniew fragte sich, ob er vielleicht doch jemanden kennenlernen wollte. Sie war vielleicht Mitte vierzig und trug eine Frisur ähnlich der frühen Meg Ryan. Ihrer Attraktivität tat das dennoch keinen Abbruch.
Zu seinem Schreck kam die Föhnwelle nun schnurstracks auf ihn zugeschritten, kämpfte sich den Weg durch die Menge. Zbigniew fiel ihr Kleid auf, das auf den durch viele Workouts optimierten und dennoch zierlichen Körper maßgeschneidert zu sein schien, ein sehr spezielles Schwarz-in-Schwarz-Design. Er konnte sich nicht verkneifen, zu ihren Schuhen hinunterzuschauen: extrem hohe Pumps mit zusätzlichen Innenplateaus in einem extravaganten Design. Vermutlich kostete keines ihrer Kleidungsstücke weniger als tausend Dollar.
»Sind Sie die Leute aus Deutschland?«, fragte die Frau aufgeregt auf Englisch, the guys from Germany, in einem hysterischen Singsang, dem Klang der Uptown Girls. Und dann sprach sie einige Worte auf Deutsch, mit einem niedlichen Akzent. »Ich bin Delia Johannsen, wie geht es Ihnen?«
Zbigniew kam sich vor wie in einem Woody-Allen-Film. Er erwiderte die Frage nach der Befindlichkeit. Delia Johannsens blonde Föhnlocken wippten aufgeregt um ihren Kopf. Trotz der Pumps ging sie Zbigniew nur bis knapp über die Brust.
Lena hatte sich wieder zu ihm gedreht. Er hatte nun ihre volle Aufmerksamkeit.
»Entschuldigen Sie, wenn ich weiter auf Englisch rede, mein Deutsch ist nicht so gut. Mein Bruder hat in Deutschland gelebt, wissen Sie? Wir kommen alle aus Deutschland, ursprünglich, Samuel und mein Vater auch. Er half ihm im Krieg, also mein Vater seinem
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